Triebstau und Omnipotenz

Wulff und die Medien

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht sollten Journalisten öfter ins Theater gehen - oder Horrorfilme im Fernsehen gucken. Beides hat aufputschende und beruhigende Wirkung zugleich. In Shakespeare-Dramen geht es für gewöhnlich sehr blutig zu. Es gibt viele Intrigen, Meuchelmord ist die Regel, jeder kämpft gegen jeden. Das wahre Leben als Tragödie, von der man doch weiß, dass es nur ein Spiel ist. Ähnlich wie die Zombie-Filme, die beim Zuschauer jenen Schrecken verursachen, von dem man weiß, dass er nur der Kraft der Fiktion entstammt und daher wohltuend ist. Triebsublimation nennen das Psychologen. Derart tiefenentspannt lässt sich über das reale Leben mit seinem oft tristen Alltag gerechter berichten und urteilen.

Bei »Bild« und den anderen, die als »Leitmedien« bezeichnet werden, herrscht dagegen derzeit Triebstau, der sich in einem kaum noch zu kontrollierenden Jagdfieber auf Christian Wulff äußert. Und Wulff selbst tut alles, um diesen Jagdtrieb weiter anzustacheln: Er räumt Fehler bei der Kreditfinanzierung seines Hauses nur halbherzig ein, schimpft wie ein politischer Hinterbänkler die Mailbox des »Bild«-Chefredakteurs Kai Diekmann voll; nicht zuletzt aber begibt er sich in die klassische Opferrolle: Ich bin im Amt des Bundespräsidenten ein Lernender, sagte er sinngemäß vor Wochenfrist beim Kreuzverhör in ARD und ZDF. Einem Lehrling möchte man in der Tat das höchste Amt im Staate nicht überantwortet wissen.

Es ist viel spekuliert worden, was vornehmlich die Springer-Presse dazu treibt, ihren einstigen Liebling, den Noch-Bundespräsidenten, auf die Abschussliste zu setzen. »Bild« spielt mit anderen Medien »über Bande«. Wie Marionetten hängen diese an den Fäden von »Bild«-Chef Kai Diekmann und seinen Kollegen. Wie geschickt das Blatt agiert, wird daran deutlich, dass sie beinahe täglich die Berichterstattung der anderen Blätter zur Causa Wulff zitiert, dabei ihre eigene Rolle allerdings eher beiläufig erwähnt; für gewöhnlich kann »Bild« in solchen Fällen sein Selbstlob nicht zurückhalten.

Wulff ist nicht der erste Prominente, der von »Bild« zuerst hoch- und dann runtergeschrieben wurde. Relativ neu aber ist, dass die sogenannten Leitmedien von »FAZ« über »Süddeutsche« bis »Spiegel« das Spiel mitmachen. Schon vor Weihnachten hatte die FAZ die ersten zarten Andeutungen von den Mailbox-Attacken Wulffs veröffentlicht. Zunächst blieb das folgenlos, keine andere Zeitung nahm davon Notiz. Als nach Neujahr - es ist zu vermuten, auf entsprechende Hinweise aus dem Hause Springer - andere Redaktionen »nachrecherchierten«, wurde zum großen Halali geblasen.

Einerseits also ist Wulff ein Opfer eine journalistischen Hetzjagd. Andererseits aber sind die Medien selbst Getriebene. Einmal in Fahrt lässt sich die Jagdgesellschaft nur schwerlich noch aufhalten. Würde Wulff jetzt standhaft bleiben, wäre das der Ausdruck größter Schwäche. Wer den Zeitpunkt zur Aufgabe verpasst hat, ist nur noch eins: ein Opfer. Irgendwann ist es der Jagdmeute ein Gnadenakt, der halbtot gehetzten Beute den finalen Schuss zu verpassen.

Auch dafür kennt die Psychologie einen Begriff: Omnipotenz!

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