Grenzen der Aufklärung

Koran, Bibel, »Bild«

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.
Grenzen der Aufklärung

Aufklärung, so heißt es bei Immanuel Kant, ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Ach ja, die Aufklärung. Sie sollte uns immunisieren gegen den Aberglauben, uns stark machen im Denken, wo der Glaube doch scheinbar versagt.

Wäre derzeit nicht das Grass-Fieber in den Feuilletons ausgebrochen, die Medienmaschine würde wohl über einen anderen Fall von begrenzter Aufklärung herfallen. Salafisten, also jene radikale islamische Gruppierung, die den Koran ähnlich wortwörtlich auslegt wie manche evangelische oder katholische Brüder und Schwestern im Geiste die Bibel, diese Sekte also verschleudert derzeit den in Buchform gedruckten Koran unters Volk.

Selbst schuld, wer zugreift, möchte man entgegnen. Es wird ja niemand gezwungen, das Buch anzunehmen oder es gar zu lesen. Allein: So einfach ist das nicht. Das Vertrauen in die Urteilskraft (manche sagen dazu Aufklärung) des Menschen ist in der Erregungsindustrie nicht besonders groß. Es wird geargwöhnt, schon der Griff zum Buch könne den Geist auf Abwege bringen. Der immer noch als unmündig begriffene Mensch soll vor sich selbst geschützt werden. Lassen wir dazu noch einmal Kant sprechen: »Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.« Der Königsberger Denker lebte im 18. Jahrhundert, sonst hätte er hinzufügen müssen: »oder der Politik und der Massenmedien«.

Apropos Massenmedien: Nach dem Volks-Koran kommt bereits die nächste kostenlose Massenverteilung von Glaubenswerken auf uns zu. Am 23. Juni will der Axel Springer-Verlag alle deutschen Haushalte anlässlich des 60. Geburtstages der »Bild«-Zeitung mit einem kostenlosen Exemplar des Blattes beliefern. Auch hier ist die Erregungsmaschine bereits angelaufen. Eine Initiative namens »Alle gegen BILD« ruft zur Gegenwehr auf.

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