Die fliegende Schwägerin

Mona Lisa aus Posen: Melitta von Stauffenberg

  • Kurt Finker
  • Lesedauer: 3 Min.

Als am 8. April 1945 östlich von Straubing ein Sportflugzeug unter den MG-Salven eines US-amerikanischen »Mustang«-Jägers abstürzt, finden die Anwohner und Soldaten in den Trümmern eine sterbende Frau. Keiner weiß, dass deren 42-jähriges Leben nicht nur durch »normale« Höhen und Tiefen menschlichen Daseins gegangen ist, sondern in besonderem Maße Tragik und Widersprüchlichkeit deutscher Geschichte widerspiegelt.

Melitta von Stauffenberg wurde 1903 in Krotoschin, damals Provinz Posen, geboren. Vater Michael Schiller war »Königlich Preußischer Landesbauinspektor« und gehörte, wie der Biograf mitteilt, »der tonangebenden, exklusiven deutschen Lokalelite an, in der Polen nichts verloren hatten. Bis 1914 verlief das Leben der Familie Schiller wie ein großer, immerwährender heiterer Sommer.«

Der Vater war Jude, aber zum christlichen Protestantismus konvertiert und lebte mit seiner Familie nicht im traditionellen jüdischen Milieu. Tochter Melitta und ihre Geschwister wuchsen in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Melitta studierte Physik an der Technischen Hochschule in München, was in den 20er Jahren »eine singuläre Erscheinung« war. »Unter all ihren männlichen Kommilitonen muss die Mona Lisa aus Krotoschin für Furore gesorgt haben«, schreibt Thomas Medicus. Sie interessierte sich für die im Aufschwung befindliche Luftfahrt und beherrschte bald Motorflugzeuge verschiedener Typen. Sie lernte den seinerzeit berühmten Weltkriegsflieger und Träger des Pour le Mérite Ernst Udet kennen, der es in Nazideutschland zum »Generalluftzeugmeister« brachte, bis er sich, desillusioniert und verbittert, 1941 das Leben nahm.

Zwar verbot der Vertrag von Versailles Deutschland den Besitz einer Luftwaffe, aber im zivilen Bereich waren wissenschaftliche Forschung möglich; illegal wurde die Schaffung einer neuen Luftwaffe mit Nachdruck betrieben. Als unter Reichskanzler Hitler mit dem Aufbau der faschistischen Luftwaffe begonnen wurde, spezialisierte sich »Flugkapitän« Melitta auf Sturzkampfflugzeuge (Stuka). Sie soll insgesamt etwa 2000 Sturzflüge absolviert und analysiert haben. Dennoch ist sie der Nachwelt als tollkühne Fliegerin nicht so bekannt wie Erzrivalin Hanna Reitsch, die sich besonderer Gunst der Nazis erfreute, und die nach dem Krieg anderweitig berühmt gewordene Beate Uhse.

Im Sommer 1937 heiratete Melitta Schiller den Althistoriker Alexander von Stauffenberg, den Bruder von Claus und Berthold von Stauffenberg. Alsbald stießen die Nazibehörden darauf, dass Melitta »Halbjüdin« war. Ihr Mann ließ sich jedoch trotz Druck nicht scheiden. Und Melitta erwirkte über »Fliegerkameraden« Udet, der sich wiederum an seinen obersten Chef Göring wandte, vom Reichssippenamt die Bescheinigung, dass sie »deutschblütig« sei. Die Göring nachgesagte Auslassung, »Wer Jude ist, bestimme ich«, wurde hier bestätigt.

Nach dem Scheitern des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 kam Melitta am 25. Juli in Haft, wurde jedoch bereits am 3. September wieder freigelassen, da ihr keine Verbindung zur Verschwörung nachgewiesen werden konnte. Melitta nutzte ihre begrenzte Freiheit, um Hinterbliebenen der Ermordeten, so ihrer Schwägerin Nina, und Angehörigen der Verhafteten zu helfen. Sie kümmerte sich auch, soweit möglich, um die in das Kinderheim Sachsa im Harz verbrachten minderjährigen »Sippenhäftlinge«. Eine Widerstandskämpferin war sie nicht und wurde sie nicht, betont Medicus und weist dementsprechende Legenden, die nach ihrem Tod in Umlauf gebracht wurden, zurück. Melitta von Stauffenberg hatte als Pilotin und Wissenschaftlerin der faschistischen Kriegführung gedient, der sie schließlich selber zum Opfer fiel.

Thomas Medicus: Melitta von Stauffenberg: Ein deutsches Leben. Rowohlt Verlag, Berlin 2012. 416 S., geb., 22,95 €.

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