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Zwischen »Täter«- und »Opfer«-Akte

Ein Leipziger »IM« geht in die Öffentlichkeit / Aus einer Erklärung von Jens Fuge

  • Lesedauer: 3 Min.
Seit gestern gibt es im Zusammenhang mit der Leipziger Olympiabewerbung einen neuen »Stasi-Fall«: Jens Fuge (39), Geschäftsführer der Westend-PR-Agentur, die für die Olympia GmbH die Pressearbeit übernommen hatte, informierte sowohl Olympia GmbH als auch Öffentlichkeit darüber, dass er sich 1983/84 über neun Monate zur inoffiziellen Mitarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR verpflichtet hatte. Auf diese Erklärung hin beendete die Olympia GmbH sofort die Zusammenarbeit mit Fuge und der Westend-PR-Agentur. ND dokumentiert aus einer persönlichen Erklärung, die Jens Fuge der Redaktion übermittelte:
Ich habe mich der Öffentlichkeit offenbart mit dem Ziel, eine Diskussion zu entfachen. Und zwar eine Diskussion darüber, warum das Differenzieren so schwer fällt, wenn das Thema Stasi auf dem Tisch liegt. Im Übrigen habe ich aus meiner Geschichte nie einen Hehl gemacht. Mein Freundeskreis weiß seit jenen Tagen in vollem Umfang Bescheid, als ich mich umgehend »dekonspirierte«, und 1999 beschrieb ich die Geschichte in dem Buch »Haare auf Krawall«, das in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung erschien. Zur Sache: Unter dem Aktenzeichen XIII 1302/83 ist eine so genannte »Täterakte« zu finden. Die bekam, wer sich mit dem MfS einließ - egal, warum. Es gibt auch eine so genannte »Opferakte« - diese hat die Registriernummer XIII 526/ 86. Ja, ich habe eine Verpflichtungserklärung beim MfS unterschrieben. Am 19.5.1983 war dies, und es geschah unter massivem Druck. Die Unterschrift wurde erpresst unter der Androhung ei- ND dokumentiert ner Gefängnisstrafe von einem Jahr. Die Herstellung einer illegalen Zeitung war der Grund, die Herstellung einer Fußball-Fanclub-Zeitung. Die Gegenleistung, die sich mit der Unterschrift verband, erforderte - und darauf bin ich sehr stolz - keinerlei Verrat und Spitzelei, keine Dinge, die ich mit meinem Gewissen nicht verbinden konnte. Sie (die Stasi-Leute) wollten wissen, was sich hinter den damals wie Pilze aus dem Boden schießenden Fußball-Fanclubs verbarg. Ob sie gefährlich seien, militant vielleicht oder anderswie bedrohlich. Genau genommen, hatte ich die einmalige Chance, der Gedankenpolizei ungefiltert zu erklären, was wir Fußballfans wollten. Vielleicht naiv im Nachhinein, aber so dachte ich. Das Drängen nach Namen und Adressen, Zielen und Ansichten wurde nach einiger Zeit immer größer. Ich nahm all meine Courage zusammen und kündigte die »Zusammenarbeit« am 2.11.1984 auf. Aus der von Seiten der Stasi erhofften Zusammenarbeit wurde nun ein »Operativer Vorgang«, den das MfS »OPK Club« nannte. Ich wurde von drei IM bespitzelt, ein 12-Punkte-Maßnahmeplan gegen mich wurde erarbeitet, Freunde aus der BRD wurden zum Zwecke der »Zersetzung« unserer Beziehung nicht mehr in die DDR gelassen, ich erhielt einen PM 12, einen »vorläufigen Personalausweis«, mit dem ich die DDR nicht mehr verlassen konnte, stellte einen Ausreiseantrag, dem nach vier Jahren stattgegeben wurde. Ich wurde beobachtet, man wusste, in welche Kneipen ich ging, welche Freundin ich hatte, wann ich dennoch versuchte, in die CSSR zu gelangen. Man nahm Geruchsproben, behandelte mich erkennungsdienstlich und versuchte Hinweise zu erarbeiten, dass ich plante, Straftatbestände wie »ungesetzliche Verbindungsaufnahme« zu erfüllen. Dies alles ist in meiner Akte nachzulesen. Es steht einerseits nicht in meiner Macht, diese Dinge für andere zu bewerten. Andererseits gab es für mich keinen Grund, damit ohne Not an eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit zu gehen. Zum ersten ist die Gefahr, Vorurteilen und Vorverurteilungen ausgesetzt zu sein, nicht von der Hand zu weisen. Zum zweiten habe ich mich für nichts zu rechtfertigen.

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