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  • Politik
  • Interview Generaloberst a. D. FRITZ STRELETZ vor Antritt der gegen ihn verhängten Haft:

Keine Veranlassung, erneute Befragung vor Gericht zu scheuen

  • Lesedauer: 3 Min.

Der vorletzte Verteidigungsminister der DDR, Heinz Keßler, und sein Stellvertreter Fritz Streletz, die im ersten großen Schauprozeß gegen führende Partei- und Staatsfunktionäre der DDR vom Landgericht Berlin wegen „Anstiftung“ zum mehrfachen „Totschlag“, bei der Revisionsverhandlung vom Bundesgerichtshof sogar wegen „Mittäterschaft“ beim „Totschlag“ für ihre politische und militärische Mitverantwortung am DDR-Grenzregime zu IVz bzw. 5 Vi Jahren Haft verurteilt worden sind, müssen sich bis heute bei den ihnen zugewiesenen Berliner Haftanstalten zum Strafantritt melden. Mit Generaloberst a. D. FRITZ STRELETZ sprach gestern CLAUS DÜMDE.

Sie und Heinz Keßler haben gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt, sollen aber schon jetzt die Haft antreten. Wie bewerten Sie das?

Ich habe in meiner Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. 9 1993 bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Das Bundesverfassungsgericht berät zur Zeit über diesen Antrag. Eine Entscheidung ist bisher nicht gefallen. Sollte der Antrag abgelehnt werden oder ich bis zum mir gestellten Termin keine Entscheidung erfahren, werde ich meine Haftstrafe selbstverständlich antraten.

Als Termin wurde Ihnen der 7. Oktober genannt. Betrachten Sie dieses Datum als Zufall?

Ich halte es für unwahrscheinlich, daß den bundesdeutschen Justizbehörden überhaupt bekannt ist, daß ieEf^.-Qktol» feiertag der DDR-gewesen ist. Ich betrachte daher die Ladung zum Strafantritt am 7 Oktober auch nicht als eine gegen uns gerichtete politisr.hfi Provokation.

In Kurze sollen weitere Prozesse gegen frühere führende Militärs der Nationalen Volksarmee bzw. der Grenztruppen der DDR wegen der Toten an der Grenze zur BRD und zu Westberlin beginnen. Da Sie im selben Zusammenhang rechtskräftig verurteilt worden sind, könnten Sie bei diesen Prozessen als Zeuge - der Anklage oder der Verteidigung - benannt werden. Sind Sie bereit, zu sagen, was Sie wissen?

Nach meiner Kenntnis wurden zehn Generalen und Admiralen außer Dienst des ehemaligen Kollegiums des Ministeriums für Nationale Verteidigung und sechs Generalen außer Dienst der ehemaligen Führung der Grenztruppen der DDR Anklageschriften zugeleitet, mit denen sie des Totschlags bzw. der Anstiftung und Beihilfe zum Totschlag beschuldigt werden. Ich hoffe immer noch, daß das Bundesverfassungsgericht und gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof zu der Feststellung gelangt, daß der Bundesgerichtshof bei seinem Urteil gegen Keßler, Albrecht und mich gegen das verfassungsrechtliche Verbot der rückwirkenden Bestrafung verstoßen hat.

Die Europäische Menschenrechtskonvention, an die die Bundesrepublik Deutschland gebunden ist, stellt ausdrücklich fest, daß eine Tötung, die bei einer rechtmäßigen Festnahme erfolgt, kein kriminelles Unrecht darstellt. Auf dieser Grundlage bzw unter Berücksichtigung dieser Tatsache ,dfirften auch die.yorge-, sehenen Prozesses gegen die ehemaligen Kollegiumsmitglieder und die ? ehemalige Führung der Grenztruppen nicht durchgeführt werden.

Was meine Bereitschaft betrifft, als Zeuge auszusagen, möchte ich betonen: Jeder, der von einem Gericht als Zeuge geladen wird, ist verpflichtet, als Zeuge auszusagen, wenn er nicht befürchten muß, sich damit selbst zu belasten. Ich habe keine Veranlassung, eine Befragung vor irgendeinem Gericht zu scheuen. Ich halte es für meine Pflicht, als Zeitzeuge meinen Beitrag zur historischen Wahrheitsfindung zu leisten, wo sich auch immer hierzu eine Gelegenheit bietet.

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