Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

„Der Aufstand im Menschen“ von Johannes R. Becher: Das hat ein Verzweifelter verfaßt

  • Lesedauer: 3 Min.

„Vorbei“ - Karl-Georg Hirsch schuf diesen Holzstich zur Vorzugsausgabe des Becher-Bandes, die jeweils mit einer Originalgraphik in 300 Exemplaren erscheint

'! ': -< “. “ ,f!j r ? -,. I Ml-.' ,!i '!? ?? ,'>' i

in der Literatur“ wie ein Par- Außenseiter sein.. Dafür gibt es

teifunktionär spricht. viele Beispiele in der Literatur

Becher wollte letztlich im- nach 1917, und es leichthin zu

mer funktionieren, kein verdammen, wäre ungerecht.

1983, als ich am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ studierte, wurde uns ein eben erschienenes Buch dargereicht, das etwas ganz Besonderes versprach: Becher als Menschen. Längst war das Ansehen des Dichters und ehemaligen Kulturministers der DDR tief in den Keller der Spöttelei und der Abneigung gesunken. Nicht nur kritische Studenten nannten ihn „Johannes Erbrecher“

Nun gab es den „Aufstand im Menschen“ - kulturphilosophische Reflexionen, geschrieben 1947/48, zu großen Teilen in Bechers Tagebüchern 1950 veröffentlicht, von Ost und West, damals aber kaum wahrgenommen. Wir sollten lesen

Entwicklung, erneut gelesen, diese schön gestaltete Ausgabe von Faber & Faber. Das erschreckendste war wohl, daß ich mir auch heute keinen Satz darin angestrichen habe. Sollen DAS philosophische Betrachtungen sein? Merkbares, das Einsichten ins Innerste der Welt gibt? Neues über den Menschen? Was liegt da für ein seltsam hilflos dahingeschriebenes Gebilde vor uns! Es hat ein Verzweifelter verfaßt. Einer, der mit kindlichem Erschrecken erkannt hat, daß die Menschen böse, unbelehrbar, eitel, falsch, durchtrieben und mordlustig sind. Es hat jemand geschrieben, der ein zutiefst religiöses Bild von seiner Gattung besitzt. Ein im Exil umhergetriebener, angegriffener, seelisch verletzter Mensch. Das ganze Buch ist Anklage. Gewiß, das kannten wir nicht von Becher. Aber hat es ihn bei uns beliebter gemacht?

„Der Aufstand im Menschen“ ist übersteigerte Prosa, die von Übersteigertem handelt. In theatralischen Gesten, wie von einer Kanzel gepredigt. Das „0 Mensch“ ohne eine Spur von Ironie gesagt, sondern so pathetisch geschrieben, wie es gemeint ist. Becher fordert das Totale: „Das wahre Menschlichsein“, die „Wahre Geschichte der wahren Menschen“, das „totale Herrschen von Vernunft“. Fragmentarisches ist für Becher fragwürdig. Er trägt eine hermetische gotthafte Vorstellung vom Menschen in sich, weif entfernt von der - für Dichter notwendigen - Einsicht, daß d|er Mensch nicht nur unvollkommen ist, sondern unvollkommen sein muß, um nicht in blutloser Leere zu erstarren. Bei Becher selbst ist das Unvollkommene, das sich durch sein Leben und seine Dichtung zieht, das Interessanteste. Ich

? kenne keinen Dichter dieser Zeit, der widersprüchlicher

, war als J.R. ,,

Ich neige nach der Lektüre vom „Aufstand“ dazu, von Tragik bei Becher zu sprechen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.