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Eichmanns rechte Hand und sein Opfer

Die Tragik eines Judenretters: Berthold Storfer

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 3 Min.

Kollaborateur oder Judenretter? Das ist hier die Frage. Die Lektüre der Biografie von Berthold Storfer hinterlässt jedenfalls zwiespältige Gefühle.

Eine österreichische Historikerin hat sich auf die Lebensspur des 1880 geborenen Bankiers begeben, der unter Adolf Eichmann Leiter der »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« in Wien war und schließlich selbst in Auschwitz ermordet wurde. Laut seiner den Nazi-Behörden vorgelegten eigenen Aufzeichnungen hat Storfer mindestens 9096 österreichischen und deutschen Juden durch Unterstützung bei der illegalen Auswanderung das Leben gerettet. Er bewahrte also wesentlich mehr Menschen vor einem grausigen Tod als der durch einen Hollywood-Film berühmt gewordene deutsche Unternehmer Oskar Schindler. Und doch ist Storfer weitgehend unbekannt, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass er sich den Nazis verdingte, deren Handlanger war.

Mit dem »Anschluss« Österreichs 1938 begann auch in Storfers Heimat der Terror gegen die Juden; viele verließen panisch das Land. Storfer, der katholisch getauft war, aber laut den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis trotzdem als Jude galt, flüchtete nicht. Stattdessen diente er sich den Nazis an und wurde wenige Wochen später Leiter der von Eichmann gegründeten »Auswanderungsbehörde«. Storfer wurde dadurch zu einer zentralen Figur in der Maschinerie, die das Deutsche Reich judenfrei machen sollte.

Wollte Storfer helfen, wollte er sich bei den Nazis lieb Kind machen oder wollte er sich persönlich bereichern? Zumindest letzteres kann nach Lektüre des gründlich recherchierten Buches von Gabriele Anderl wohl ausgeschlossen werden. Storfer organisierte bis zum Verbot der Auswanderung und dem Beginn des Holocaust im Herbst 1941 vier große Schiffstransporte Richtung Palästina. Eine knifflige und riskante Aufgabe, denn Palästina war Mandatsgebiet von Großbritannien und London handhabte die Einwanderung von Juden sehr restriktiv. Im Gegensatz zu den zionistischen Organisationen, die vor allem junge Menschen zum Aufbau des kommenden Staates Israel ins Land holten, organisierte Storfer die Flucht von Menschen aller Altersklassen und sozialen Schichten; er verhalf sogar freigekauften KZ-Häftlingen zur Übersiedlung nach Palästina.

Mit der Auflösung seiner Behörde wurde Storfer nicht mehr gebraucht. Verzweifelt versuchte dieser dennoch, Eichmann von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen. 1943 wurde ihm mitgeteilt, er habe seinen »Wohnsitz« nach Theresienstadt zu verlegen. Da Storfer wusste, was dies bedeutete, versteckte er sich bei einer arischen Freundin, wurde allerdings bereits fünf Tage später verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Es gelang ihm zwar aus dem Todeslager heraus, Eichmann von einem Zusammentreffen zu überzeugen. Doch konnte er damit das über ihn verhängte Todesurteil nicht abwenden. Darüber berichtete Eichmann selbst später in seinem Prozess in Israel. »Ja, mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt?«, will der Organisator millionenfachen Judenmordes zu Storfer gesagt haben. Gnadenlos teilte Eichmann ihm mit, dass er ihm nicht helfen könne. Kurze Zeit später war Storfer tot, wahrscheinlich erschossen.

Zu dieser faktenreichen, sehr detaillierten und dadurch teils mühsam zu lesenden Biografie hat noch der im Mai dieses Jahres verstorbene deutsche Historiker polnischer Herkunft Arno Lustiger das Vorwort verfasst; der Autor zahlreicher Bücher zur Judenverfolgung und über jüdischen Widerstand bedankte sich explizit bei Gabriele Anderl, den Judenretter Berthold Storfer der Vergessenheit entrissen zu haben.

Gabriele Anderl: 9096 Leben. Der unbekannte Judenretter Berthold Storfer. Rotbuch Verlag, Berlin 2012. 400 S., geb., 19,95 €.

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