Abort-Welten

Werner Schwabs »Präsidentinnen« am Berliner Ensemble

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Autor lebte dafür, anderen eine Zumutung zu sein. Werner Schwab, Inkarnation des Österreich-Selbsthasses, starb in der Silvesternacht 1993 mit fünfunddreißig Jahren an akuter Alkoholvergiftung. Was er schrieb, folgte einer Mission, die auch eine Art Wahn war: den Kleinbürgern den Dreck, den sie ausscheiden, wieder ins Gesicht zu werfen. Er nannte dies nach seiner verhassten Heimatstadt auch »Graz-Kunst«.

Mit seinen »Fäkaliendramen« wurde er auf berüchtigte Weise berühmt: »Präsidentinnen« und »Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos« waren Vorläufer von Sarah Kanes Zerstörungsvisionen, allerdings mit einigen rhetorischen Schnörkeln mehr. Für ihn war Österreich ein Haufen Scheiße mit Schlagsahne drauf - und um nichts anderes kreisen seine obsessiven Ausscheidungs-Dramen. Liegt das an Österreich?

Schwab schrieb fortgesetzt an der Chronik des menschlichen Bestiariums. Nichts tröstet hier über den Abgrund mit Namen Kleinbürger in uns hinweg. Alles, was sich noch im Schrecken für groß hält, ist auf erbärmliche Weise gemein, alles, was vornehm sein möchte, erscheint schmutzig. Die »Präsidentinnen« sind Erna, Grete und Mariedl. Mariedl, die Jüngste, ist auf geradezu debile Weise fromm und am liebsten räumt sie mit bloßen Händen verstopfte Aborte aus. Höhepunkt der »Präsidentinnen« ist in jeder Inszenierung aufs Neue, wenn die Mariedl auf einem »Volksfest« von einem übergelaufenen Abort zum nächsten eilt: Der Pfarrer hat ihr eine besondere Freude machen wollen und in allen Klos etwas für sie versteckt: eine Dose ungarisches Gulasch, eine Flasche Bier, ein französisches Parfüm ... Wenn man den Dreck außen etwas abwischt, dann schmeckt es doch ausgezeichnet! Man darf jedes Mal darauf warten, wie sich das Publikum bei dieser Stelle vor Ekel windet. Mariedl dagegen: »Mich würgt es halt überhaupt nicht, wenn ich hinuntergreife in die Muschel, ich opfere das auf für unseren Herrn Jesu Christi, der für uns am Kreuz gestorben ist.« Natürlich geht es Schwab um die katholische Bigotterie: Man ist völlig auf den Unterleib fixiert und preist dabei die Jungfräulichkeit Marias.

Vor einigen Jahren inszenierte Ernst Stötzner am DT mit Nina Hoss und Regine Zimmermann die »Präsidentinnen« als bitterböse Farce. Welch Drang der ewigen Mitläufer des Lebens, sich gut zu fühlen und dabei auch noch immer recht zu haben! Das immer wieder Schockierende an den Dreckorgien Schwabs: Der Autor selbst war ein hochsensibler und auf geniale Weise sprachbegabter Autor. Nur von der »Graz-Kunst« kam er nicht los. Er sah um sich lauter »Krüppelexistenzen« und nahm sich selbst nicht aus.

Günter Krämer hat nun am Berliner Ensemble die »Präsidentinnen« inszeniert: mit Carmen-Maja Antoni (Erna), Swetlana Schönfeld (Grete) und Ursula Höpfner-Tabori (Mariedl). Das Ergebnis: auf ärgerliche Weise feige. Aus Schwabs Aggressivität wurde hier verdruckste Betulichkeit. Alles halb so schlimm, ist doch alles bloß Theater! Das wird zum Boulevard, der mit Schockelementen kokettiert und dabei doch immer gefallen will. Es soll niemandem wehtun, die Zuschauer müssen auch nicht vor Ekel hinauslaufen (was bei Schwab sonst regelmäßig passiert).

Da hilft es auch nicht, dass die Bühne im zweiten Teil in die Vertikale kippt und die drei ältlichen »Präsidentinnen« etwas schweratmig auf Vorsprüngen kauern - um dann weiter routiniert ihre Texte zu sprechen. Das hier erforderte viel mehr körperlichen Einsatz. Bei Schwab muss man im Spiel zum Extremisten werden, oder man soll es bleiben lassen.

Mariedl, am Ende das Opfer - so der Kunstgriff bei Schwab -, wird dann doch noch zu einer Art Heiligen, zum absurden Ebenbild des Gekreuzigten. Diese Apotheose-Dimension des Leidens kommt in Ursula Höpfner-Taboris Spiel überhaupt nicht vor: »Und der Stuhl der Menschen auf ihren Körpern verwandelt sich in einen Goldstaub. ... die Mariedl schwebt über den Menschen und die Menschen werden still, weil sie sehen können, wie die Haut von der Mariedl abblättert, wie der Goldstaub so stark nachdrückt.«

Schließlich schlachten die Pensionistinnen Erna und Grete die naiv-fromme Mariedl, die ist schließlich noch schwächer als sie. Die Zunge bekommt Hund Lydi, der Kopf wird in einer Plastetüte fortgetragen. Auf den Gipfeln der Gemütlichkeit ist es kalt und grausam. Hier am Berliner Ensemble aber erscheint das alles wie Karikatur, ohne wirklich weh zu tun, so wie der ganze Abend ohne jede erkennbare Notwendigkeit ist.

Nächste Vorstellungen: 16., 31.1.

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