»Schnell, am Fließband und so billig wie möglich«

In Frankreich hat eine öffentliche Debatte über die Qualität der Lebensmittel begonnen

  • Andrea Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Lebensmittelindustrie haben wirtschaftliche Interessen und maximale Gewinnspannen längst den gesunden Menschenverstand ersetzt.

Auch in der Politik gilt die Faustregel, dass jeder Skandal seinen Sündenbock braucht. Die französische Regierung hat den ihrigen gefunden und rasch den französischen Fleischverarbeiter Span-ghero zum Hauptschuldigen für den aktuellen Pferdefleischskandal ernannt. Die Firma habe wissentlich die Etiketten geändert und billiges rumänisches Pferdefleisch in teures Rindfleisch umdeklariert.

Allerdings geht es in dem aktuellen Skandal um weit mehr als einen schlichten Etikettenschwindel. Zunehmend in den Blick gerät die wirtschaftliche Logik des gesamten Lebensmittelsektors. Auch in Frankreich werden längst Stimmen laut, die fragen, ob es zu verantworten ist, die Preise in den Supermarktregalen kontinuierlich senken zu wollen. Die große Mehrheit der Konsumenten in den Industrienationen zeigte sich bisher wenig anspruchsvoll, was die Qualität des Fleisches betrifft, das sie essen; was zählt, ist der Preis. Käufer mit niedrigen Einkommen haben zwar kaum eine andere Wahl. Doch macht es Sinn, eine Portion Lasagne für 2,50 Euro zu kaufen und zu glauben, dass diese qualitativ hochwertiges Fleisch enthält? Ein Kilo Rindfleisch kostet im Schnitt zwischen 12 und 15 Euro pro Kilo. Wie also kann die Lasagne der Marke Findus, die angeblich »100% reines Rindfleisch« enthält, das zudem kostenaufwendig weiterverarbeitet wurde, nur 3,50 Euro pro Kilo kosten?

Die Erklärung ist denkbar einfach, und doch scheinen viele Konsumenten dieser Tage aus allen Wolken zu fallen: Fertigprodukte wie Tiefkühllasagne enthalten nicht wirklich Fleisch. Sie werden mit sogenanntem Formfleisch hergestellt. Wenn ein Rind geschlachtet und die »edlen« Teile (Entrecote, Filets etc.) abgetrennt wurden, dann werden alle nicht marktfähigen Produkte (Fett, Kollagen, Sehnen und Eingeweide) im Schlachthof zermahlen, durch den Fleischwolf gedreht, gepresst und anschließend in Form von Fünf- oder Zehn-Kilo-Blöcken tiefgefroren, die an die Lebensmittelindustrie verkauft werden. »Diese Fleischmixtur könnte ebenso Teile von Eseln oder Maultieren enthalten, niemand würde es merken«, erklärte Constantin Sollogoub, ein Fleischbeschauer im Ruhestand, gegenüber der französischen Internetzeitung »Rue89«. »Vor 40 Jahren ging das alles an den Abdecker, um verbrannt zu werden. Man hätte daraus nicht einmal Katzenfutter gemacht. Die Entwicklung chemischer Zusatzstoffe macht es heute möglich, diese Abfälle weiterzuverarbeiten.«

»Der wirkliche Skandal liegt darin, dass niemand weiß, was Fleisch tatsächlich enthält - egal woher es kommt«, meint der Journalist Fabrice Nicolino, der sich bereits 2009 in seinem Buch »Bidoche« mit der Industrialisierung der Fleischindustrie und deren verheerenden Schäden beschäftigt hatte. Es sei zwar einfach, DNA-Tests vorzunehmen, wie es jetzt EU-weit geschieht. Wirklich aussagekräftig wären laut Nicolino aber nur umfassende chemische Analysen. »Diese würden nämlich aufdecken, dass wir in unserer globalisierten Gesellschaft täglich Fleisch essen, das potenziell gesundheitsschädliche, chemische Giftstoffe enthält. Heutzutage muss Fleisch schnellstmöglich ›hergestellt‹ werden. Die Mittel und Techniken dafür sind bekannt: Anabolika, Wachstumshormone, Antibiotika. Wir stellen Fleisch her wie wir Auto produzieren: schnell, am Fließband und so billig wie möglich.«

Die Etiketten, selbst wenn sie nicht gefälscht sind, sagen daher wenig aus, und die Lebensmittelindustrie macht sich die Schwachstellen der Gesetzgebung zunutze, um den Konsumenten im Dunkeln zu lassen. »Wer weiß überhaupt, was ›Rindfleischerzeugnis‹ bedeutet?«, fragt der Ernährungswissenschaftler Jean-Michel Cohen in der Tageszeitung »Le Figaro«. »Der Begriff ›Rindfleisch‹ sagt nicht aus, um welches Stück es sich handelt. Das kann ebenso der Hals des Rindes sein wie sein Maul, sein Fuß oder der After des Tieres.«

Mangelnde Kontrollen stellen ein weiteres Problem dar. »Belegschaft und Mittel der tierärztlichen Kontrollen sinken seit Jahren kontinuierlich«, empört sich Alain Bazot, Leiter des Verbraucherschutzverbands »UFC-Que Choisir«. »Frankreich passt sich immer mehr dem US-amerikanischen Modell an, dessen Hygieneregeln nicht mehr vorsehen, alle Etappen der Fertigung und Weiterverarbeitung von Lebensmitteln und insbesondere von Fleisch mitzuverfolgen. Stattdessen wird am Ende alles mit Chlorbleiche desinfiziert.«

Können Lebensmittel den gleichen Marktgesetzen unterliegen wie jedes andere Produkt, ohne dass dabei langfristig die Gesundheit des Endkonsumenten aufs Spiel gesetzt wird? Der aus gesundheitlicher Sicht relativ harmlose Pferdefleischskandal scheint daher nur einen Vorgeschmack auf kommende Katastrophen zu bieten.

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