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Ein Genie, ohne Zweifel

Zum 85. Geburtstag von Peter Hacks erschien ein Band mit Familienbriefen des Dichters

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Dichter gab sein Leben erst aus der Hand, als alles in seine (ja: in seine) Ordnung gebracht war. Vor zehn Jahren, zum 75. Geburtstag von Peter Hacks, erschien im Eulenspiegel-Verlag die 15-bändige Werkausgabe mit jenen Gedichten, Stücken, Dramen, Essays und Dichtungen für Kinder, die allein er zu diesem Zeitpunkt als seinen Kanon gelten ließ. Kein halbes Jahr später, am 28. August 2003, starb Peter Hacks, der Begründer und einzige Vertreter der »sozialistischen Klassik«. Als Sterbedatum »wählte« er Goethes Geburtstag. Den Hacks verehrenden Satiriker Wiglaf Droste veranlasste dieser Umstand zum Schreiben des Satzes: »Wer Hacks näher kannte, will an einen Zufall nicht glauben. Der schwerkranke Hacks stemmte sich dem Tod gezielt bis zum Geburtstag seines Idols Goethe entgegen.«

So sehr Hacks daran gelegen war, zu Lebzeiten über sein Vermächtnis zu gebieten, so wenig verweigerte er sich der posthumen Aufarbeitung seines reichhaltigen Nachlasses. Der Eulenspiegel-Verlag und das dort eigens zur Hacks-Pflege gegründete Imprint Aurora, die Berliner Peter-Hacks-Gesellschaft und der in Mainz ansässige André Thiele Verlag wenden sich seit dem Tode des Dichters mit gehörigem Fleiß der Aufarbeitung des Hacks-Erbes zu.

Pünktlich zum heutigen 85. Geburtstag ist nun, von Gunter Nickel herausgegeben und auf über 300 Seiten sorgfältig erläutert, der Familienbriefwechsel erschienen: »Peter Hacks schreibt an ›Mamama‹«. Der Band ermöglicht es, erstmals tieferen Einblick zu nehmen in die nicht-öffentlichen Arbeits- und Lebensgewohnheiten dieses Dichters, dem die Blutsbande ein Gräuel waren und der zuweilen bestritt, über eine private Persönlichkeit überhaupt zu verfügen. Dennoch schrieb Hacks, der 1955 aus politischer Überzeugung und, wie er meinte, künstlerischer Notwendigkeit aus der BRD in die Hauptstadt der DDR übergesiedelt war, über den Zeitraum von beinahe 20 Jahren in kurzen Abständen allerlei Mitteilungen aus dem Dichterdasein an seine Mutter in München.

Offenbar betrachtete er diese Briefe keineswegs nur als Zugeständnis an »Mamama«, sondern baute schon früh darauf, dass seine private Korrespondenz einmal von Interesse auch für Außenstehende sein würde. »Ich tue ja schon fast nichts anderes als Briefe an Dich schreiben«, heißt es in einer Sendung vom 31. Mai 1964, »auf einen Band gesammelte Werke von mir kommen immer drei Bände Briefe an Dich.« Unmittelbar vor dem Tode der Mutter im Februar 1972 telegrafierte Hacks an seinen älteren Bruder Jakob, einen »idiotischen« FDP-Mann, für den der kommunistische Dichter ansonsten nicht mehr als Spott und Verachtung übrig hat: »BITTE NACHSEHEN OB MAMA MEINE BRIEFE GESAMMELT HAT STOP FALLS JA BITTE DRINGEND IN VERWAHRUNG NEHMEN«.

Elly Hacks hatte die Briefe ihres Sohnes, die den größten Teil des vorliegenden Bandes füllen, aufbewahrt. Umgekehrt war das offenbar nicht der Fall, weswegen die Familienbriefe sich uns als Korrespondenz fast ausschließlich in eine Richtung darstellen. Man erfährt darin, pointiert formuliert und vergnüglich zu lesen, einiges über Hacks' und seiner Frau Anna Elisabeth Wiedes Lebenswandel, etwa über feuchtfröhliche Partys und Konversationen mit den namhaftesten Vertretern des DDR-Kulturschaffens oder über das bizarre Faible des Paares für Antiquitäten. Eine Nachwuchsplanung war im Hause Hacks inexistent, Kinder treten in den Briefen ausschließlich als »Schrecken« auf - oder als Publikum. »Da opfern die Leute zehn Jahre ihres Lebens für diese kleinen Bestien«, schreibt Hacks an seine Mutter, »müssen danach ohnmächtig zusehen, wie aus ihnen doch nichts Rechtes wird, und alles, was sie davon haben, ist später mal ein dummer Brief im Monat; Du kennst das ja.«

Nicht im Entferntesten »dumm«, dafür sehr aufschlussreich sind die vielen Details, die man aus den Briefen über Hacks' Arbeitsprozesse erfährt. Das stetige Nachbessern vorhandener Texte nahm zur Verärgerung des sich dadurch belästigt fühlenden Dichters viel Zeit ein. Man liest trockene und, obgleich einige seiner Stücke von den Spielplänen gestrichen wurden, stets heitere Kommentare zur DDR-Kulturpolitik. So habe Wolfgang Langhoff, nachdem Hacks als Chefdramaturg des Deutschen Theaters abgesetzt worden war, »unsere Theorie« bestätigt, »daß die Obrigkeit nichts gegen uns persönlich hat, sondern nur allgemeine Gründe, irgendwas Beliebiges totzuschlagen«. Langhoff, der wenig später wegen seiner politisch missliebigen DT-Inszenierung von Hacks' Stück »Die Sorgen und die Macht« eine Selbstanklage in »nd« publizierte und seinen Hut als Intendant des Deutschen Theaters nahm, tritt in den Briefen wiederholt als »der Alte« auf. Als Langhoffs Frau Renate stirbt, teilt Hacks seiner Mutter ganz trocken mit, er werde sich deren Möbel, »da es sich um exzeptionell schöne Biedermeiersachen handelt, ohne Pietät unter den Nagel reißen«.

Ferner mangelt es nicht an so treffsicheren wie überheblichen Werturteilen über das Schaffen von Kollegen aus Ost und West - die sich nicht selten im Laufe der Jahre ins Gegenteil verkehren, ohne dass Hacks davon Aufsehens machte. Die Briefe zeugen davon, dass Stil und Haltung des Autors sich im Privaten und im Öffentlichen kaum unterschieden. Unbeirrbar war und blieb Peter Hacks in seinen mit weitreichenden Studien und Lektüren unterfütterten ästhetischen und politischen Anschauungen. Olymphoch sah er sich über allerlei »Idioten« und deren Kümmernissen stehen. Geplagt wurde er zwar immer wieder von Witterungsschwankungen, Schnupfen und anderen lästigen Zipperlein, in keinem Moment jedoch von Zweifeln, gar Selbstzweifeln. Hacks, der einen sozialistischen Absolutismus für das bestmögliche Staatswesen hielt, stellt sich auch hier als allzeit aus lichter Höhe auf die Dinge blickender und sie in die richtige Ordnung bringender Souverän vor.

Viel Platz nehmen in den Briefen Bestelllisten von Gebrauchs- und Luxusgütern aus dem Westen in Anspruch. Im Wechsel mit den oft recht undankbaren Dankesschreiben für die eingetroffenen Waren, vorwiegend Konfektion und Delikatessen, stehen sie am Anfang beinahe jedes Schreibens an die Mutter. Man könnte nun daraus schlussfolgern, dass das hehre Ideal vom Sozialismus für den DDR-Immigranten Hacks spätestens am Esstisch in der Mangelwirtschaft endete. Tatsächlich zeigt sich in der Vorliebe für exklusive Produkte vor allem die fehlende Bereitschaft eines von seinen exzeptionellen Leistungen überzeugten Künstlers, auf die angemessenen Annehmlichkeiten zu verzichten.

Leisten konnte Hacks sich den Luxus offenbar: Wie Herausgeber Nickel im Nachwort schreibt, verwaltete der Münchner Verleger Hans-Joachim Pavel die Bühnenrechte des Dichters im Westen, und Hacks »meldete nicht alle Einkünfte in der Bundesrepublik den zuständigen DDR-Behörden«. Das Leben, das ihm zu führen gemäß erschien, musste, weil der Sozialismus sich nicht wie erwartet entfaltete, wohl oder übel mit Westgeld finanziert werden.

Peter Hacks schreibt an »Mamama«. Der Familienbriefwechsel 1945-1999. Hrsg. Von Gunter Nickel, Eulenspiegel Verlag, 992 S., geb., 49,99 €.

Die Peter-Hacks-Gesellschaft lädt heute zu einer Reihe szenischer Lesungen von Stücken, Gedichten und Liedern ins »Habbema« (Mülhauser Str. 6/ Ecke Prenzlauer Allee, Berlin).

Auf dem Programm stehen »Das Arboretum« (18 Uhr), »Der Geldgott« (19 Uhr), »Gedichte & Geschichten« (21 Uhr) und »Fafner, die Bisam-Maus« (21.45 Uhr). Mit »Gesängen & Klängen« geht der Abend ab 23.30 Uhr zu Ende.

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