Bis dass der Tod uns eint
Trauerseiten im Internet: Ewiges digitales Leben oder Flucht vor der Realität?
Online-Portale zu Ehren Verstorbener versprechen diesen die Ewigkeit. Doch geht es darum eigentlich?
Michael Reinhartz* ist unsterblich. Denn er, so steht es auf seinem Grabstein, ist »unvergessen«. Vor der Inschrift in schwerem Granit liegt ein frischer Blumenstrauß, von zwei Kerzen flankiert. Eine saftige Grasfläche untersetzt das Bild, während der blaue Himmel durch ein paar Wölkchen etwas Kontur gewinnt. Ein friedlicher Anblick - wenn denn die Pixelzahl etwas höher wäre.
Grabpflege findet immer häufiger im Internet statt. Die Verstorbenen sollen virtuell auferstehen. Auf Online-Friedhöfen wie emorial.de, stayalive.com oder memorta.com können Hinterbliebene virtuelle Gräber pflegen, sie individuell gestalten und Kondolenzbücher einrichten. In verlinkten Foren finden Angehörige zusammen, tauschen sich aus. Per Mausklick können sie Kerzen anzünden und Fotos, Videos oder Schriftstücke des Verstorbenen lesen, die der Verantwortliche hochgeladen hat. Im Internet bleibt jeder am Leben, solange sein Steckbrief nicht gelöscht wird. Das Versprechen: nichts Geringeres als die Ewigkeit.
Auf www.strassederbesten.de hat also jemand für Michael Reinhartz eine Gedenkseite eingerichtet, die seitdem knapp 400 Besucher zählte. Denn »jedes Ende ist der Anfang von etwas Neuem«, wie die Homepage in ihrem Untertitel verkündet. Gleich über ihrem Impressum listet sie Zahlen: über 20 000 angelegte Gedenkstätten mit 30 Millionen Besuchern und über 5,3 Millionen angezündeten Kerzen. Wie so vieles, ist auch Anteilnahme im Internet ein Gefühl, das sich in Zahlen ausdrücken lässt. Kalte Statistiken gegen die Ohnmacht. Je höher, desto unsterblicher.
Liebe und Erinnern im Zufallsmodus
In diesen Zahlen, die sich selbst vorzeigen, liegt der wohl größte Unterschied zu einer klassischen Grabstätte, der es zumeist eigen ist, dass sie sich auf den ruhigen bis gespenstischen Weiten eines großflächigen Friedhofs verliert. Wo Stille und Alleinsein den Weg zur Spiritualität ebnen. Sonst aber fällt auf, wie wenig sich Onlinefriedhöfe von ihren realen Vorbildern lösen. Die grafischen Abbildungen auf den Steckbriefen bestehen fast ausschließlich aus Stein, Kerzen und Blumen. Beim Aktualisieren der Seite poppen immer neue Steckbriefe auf.
Im Zufallsmodus. Angeklickt, liest es sich fast überall gleich. Die Wörter »vermissen«, »Liebe« und »erinnern« werden leicht variiert. Doch damit soll nicht der Tote beschrieben werden, dafür sind sich die Worte zu ähnlich. Vielmehr steckt in ihnen eine Suche nach einem Gegenüber, dem es ähnlich geht. Die Gräber und Profile der Verstorbenen wirken nicht individuell, sondern in ihrer Masse. Onlinefriedhöfe funktionieren als Orte der Themengemeinschaft, als Marktplätze der Lebenshilfe. Die vielen Gräber und die Trauernden, mit ihren anteilnehmenden Klicks und Kommentaren - sie spenden Trost.
Die Statistiken, die penible Buchhaltung über Besuche und aufgestellte Kerzen ist also gar nicht so pietätlos. Sind die Zahlen doch immer auch ein Zeichen von Gemeinschaft, oder zumindest deuten sie diese an. Ich kenne dich nicht, ich bin allein, aber wenigstens sind wir viele.
Die zelebrierte Fantasie der Auferstehung ist dabei genauso wirksam wie fehl am Platz: »Er ist jetzt an einem besseren Ort«, heißt es häufig, wenn Menschen sterben. Sie »gehen von uns«. Sie steigen auf, treten ein und über. Soll dem Unfassbaren namens Tod etwas Verstand abgewonnen werden, beschreibt der Mensch eine Bewegung. Einen Wandel der Zustände, der von unterschiedlichsten Bestattungskulturen weltweit zelebriert wird. Das letzte Geleit christlicher Glaubensrichtungen, die feierlichen Reinigungen bei Muslimen und Juden, die Verbrennungsrituale, wie sie in Buddhismus und Hinduismus stattfinden - sie alle versuchen den Übergang vom Dies- in ein ungewisses Jenseits zu veranschaulichen. Ihn handfest und damit kontrollierbar zu machen.
Die Online-Trauer entzweit
Das Internet aber, mit seinem überdauernden Charakter, kennt keinen Wandel. Es bleibt alles - für immer. Es geht auf virtuellen Friedhöfen nicht um eine Wiederauferstehung. Dafür bedürfte es einer Grenze, die das Ableben kenntlich macht. Doch online gibt es nur Gräber, keine Särge, die in sie hinab gelassen werden. Im Internet gibt es keine Bewegung. Die Trauergemeinschaft kann oder will sie nicht mitgehen. Sie kann die ihr nur zu deutlich gewordene Vergänglichkeit nicht akzeptieren. Die Blumen auf dem Online-Grab werden nie verwelken, die animierten Kerzen nie erlöschen. Ein Symbol. Eine kleine Leugnung, eine Flucht, die hilft.
Auch ein Hinterbliebener von Michael Reinhartz sehnte sich nach diesem Trost und legte ihm ein Grab an. Der Steckbrief ist auf eine Seite mit Fotos verlinkt. Doch wer diese öffnet, bekommt nur einen Text zu lesen: »Die Witwe Michaels hat uns unter Androhung von Strafe keine Genehmigung erteilt, Bildnisse Michaels auf dieser Webseite zu veröffentlichen.« Sie werde »sicher ihre Gründe haben, warum sie Erinnerung an den Vater der 4 Kinder auszulöschen versucht.«
Der Tod führt Hinterbliebene eben nicht nur zusammen. Er kann die Zurückgebliebenen genauso auseinander treiben. Und das Internet spült diese Versprengten auf die gleiche verlassene Insel. Primär zählt auf Onlinefriedhöfen die Zusammenkunft von Gestrandeten. Die Ewigkeits- und Auferstehungsfluchten, die ihnen das World Wide Web dafür bereitstellt, sind letztlich nur ein Lockruf, ein Leuchtturm im Sturm. Sie einen. Die Idee des Unvergänglichen hilft, das Hier und Jetzt zu meistern. Doch entscheidend ist, dass man nicht der einzige ist, der zum Gruppentermin erscheint.
* Name geändert
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