Alle Sprüche in die Tonne!

Im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga sieht Sportpsychologe Wolfgang Klöckner die Augsburger vorn

  • Lesedauer: 4 Min.
Diplom-Psychologe Dr. Wolfgang Klöckner betreut seit Langem die Volleyball-Nationalmannschaft und trug so dazu bei, dass den deutschen Männern zwei teils überraschende Olympiateilnahmen 2008 und 2012 gelangen. Nun arbeitet er zusätzlich an einem Projekt mit dem Deutschen Hockey-Bund. Über psychologische »Drehschrauben« kurz vor wichtigen Spielen wie jetzt im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga sprach er mit Oliver Händler.

nd: Drei Abstiegskandidaten sind übriggeblieben. Hoffenheim (28 Punkte), Augsburg und Düsseldorf (je 30). Alle können noch direkt absteigen, sich aber auch komplett retten. Was können Trainer oder Psychologen in den Tagen vor solchen Abstiegsendspielen noch machen, um der Mannschaft einen Schub mitzugeben?
Klöckner: Man kann nur dort noch etwas aufsetzen, wo man schon die ganze Zeit gearbeitet hat. Der Glaube, die Psychologie könne eine Feuerwehrfunktion übernehmen, ist Unsinn. Wenn aber eine Mannschaft in ihrer gesamten Kultur darauf vorbereitet wurde, mit Stresssituationen wie der jetzigen intelligent umzugehen, dann kann ich darauf aufbauen, den Fokus an einer bestimmten Stelle noch mal erhöhen. Es hängt also viel davon ab, was die Mannschaft im »Krisenmanagement« schon gemacht hat.

Wovon noch?
Von der Höhe des Anspruchsniveaus. Das ist in Hoffenheim völlig anders als bei den Augsburgern, die jetzt schon ein Ziel erreicht haben, was sie zu Weihnachten ausgegeben hatten: am Saisonende noch um den Relegationsplatz spielen zu können. Dadurch sind sie noch in einer Aufwärtsbewegung. Die Erwartungen von Trainern, Spielern und Umfeld sind ausgehend vom niedrigen Ausgangslevel noch im Realisierbaren, decken sich mit den eigenen Ist-Analysen. Das bringt eine ganz andere Balance als in Hoffenheim, wo durch verschiedene Trainerwechsel versucht wurde, die vom Mäzen Dietmar Hopp vorgegebene, von Geld getriebene Leistungsphilosophie durchzusetzen. Dort herrscht eine ganz andere Erwartungshaltung vor und dadurch jetzt ein Gefühl der Enttäuschung.

Wie konnten Sie die Volleyballer vor wichtigen Spielen zusätzlich motivieren?
Ich habe in der letzten Sitzung vor der Olympiaqualifikation gegen Kuba als Überraschung einen Brief von Michael Schumacher organisiert. Darin schrieb also ein Weltsportler ganz persönlich, wie sehr er der Mannschaft Glück wünsche, zumal er selbst nie die Chance auf Olympische Spiele hatte. Da gingen bei den Spielern die Nackenhaare hoch. Das war der Versuch einer Stimulans‘, bei der man nie weiß, ob sie wirkt. Dafür muss man ein Gespür entwickeln. Ich habe den Verdacht, Jürgen Klopp, Christian Streich und Armin Veh haben das. Kontrollieren kann man die Wirkung aber nie. Letztlich entscheidet die Mannschaft intern, was sie von den Anreizen annimmt und welchen Worten sie glaubt.

Norbert Meier kündigte für die Düsseldorfer ein Trainingslager mit vielen Gesprächen an. Bringen die also nur etwas, wenn er dies ohnehin häufiger getan hat?
Ja. Es geht schließlich darum, im Spieler noch einmal eine Zusatzenergie freizusetzen gegen eine hoch stressbedingte und bedrohliche Situation. Da braucht der Spieler zum Trainer ein hohes Maß an Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Sonst hört er sich das nur an, ohne es ernst zu nehmen.

Meier forderte öffentlich für das letzte Spiel elf Helden - »echte Kerle, die uns die Kiste aus dem Dreck holen«.
Alles nur Sprüche, die man in die Tonne werfen kann! Alles Metaphern. Das müssen Trainer verkaufen. Daran hängt ja auch ihre Existenz. Meier weiß, dass sich einige seiner Spieler »in die Hose« machen, andere werden bei unglücklichem Verlauf schnell resignieren, einige aber auch wirklich bis zum Umfallen kämpfen: Er hat von Allem etwas. Es ist aber letztlich auch nie entscheidend, was Trainer, Präsidenten oder Manager sagen, sondern, wie die Stimmung in der Mannschaft ist.

Geht es darum, mit hoher Motivation ins Spiel zu gehen, um Gegner schnell zu beeindrucken, oder eher um die Vorbereitung auf alle möglichen Szenarien?
Häufig rennen sich die Spieler die ersten 15 Minuten die Lunge aus dem Leib, und dann führt ein Fehler in der Abwehr doch zum Rückstand. Dann kommt hinterher der Satz: »Unser Konzept war dann dahin.« Viel intelligenter wäre es, situationsadäquat Lösungen zu finden, die nicht direkt vorhersehbar waren.

Wer steigt denn nun direkt ab, wer rettet sich, und wer muss in die Relegation?
Sie fordern Kaffeesatzleserei, aber das Spekulative ist ja auch toll am Sport. Wäre er kontrollierbar, wäre er langweilig. Ich traue von der psychologischen Substanz Augsburg am ehesten Platz 15 zu. Ich sehe Düsseldorf auch in einem klaren Abwärtstrend, und Hoffenheim hat die Geschichte schon durch die Trainerwechsel zuvor total verbockt.

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