Berlin ist keine Stadt

Der Schauspieler Hanns Zischler über architektonische Fehlplanungen

  • Lesedauer: 6 Min.
Neben zahlreichen Filmproduktionen ist Hanns Zischler für seine kulturhistorischen Bücher bekannt geworden. Sein letztes Buch »Berlin ist zu groß für Berlin«, eine Text-Bild-Essay-Collage über die Hauptstadt, ist im Galiani Verlag erschienen. Im Gespräch mit Maren Schuster und Martin Paul erläutert Zischler u.a., warum er Hochhäuser am neuen Hauptbahnhof für richtig und Schrebergärten auf dem alten Tempelhofer Flugfeld für falsch hält.

nd: Sie haben sich der Hauptstadt in Ihrem Buch »Berlin ist zu groß für Berlin« schreibend und fotografierend genähert. Warum?
Zischler: Ich lebe mehr als 40 Jahre in Berlin. Der herausragende Zug von Berlin war für mich immer, dass es eine verlandschaftete Stadt ist. Ich würde auch so weit gehen zu sagen, dass Berlin keine Stadt ist. Wenn es einmal eine war, dann ist es schon lange vorbei. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie es zu diesen unglaublichen Ausdehnungen der Stadt kommt.

Warum ist Berlin zu groß für Berlin?
Die Stadt dehnt sich in die Fläche aus, wie ein Teig, den man immer dünner macht, und die Verdichtung, die eigentlich das Ziel einer Stadt sein müsste, findet nicht statt. Diesem Phänomen bin ich nachgegangen.

Welche Gründe haben Sie dafür gefunden?
Einer ist geologischer Natur: Die Stadt muss sich zwischen den vielen Gewässern ausdehnen. Sie verhält sich selber wie der Sand zwischen den Gewässern. Ein weiterer ist, dass eine tatsächliche Verdichtung nur möglich ist, wenn man nicht von einem Zentrum ausgeht, sondern von mehreren. Damit diese sich herausbilden können, bedarf es einer politisch gewollten Struktur- und Stadtplanung. Und da hapert es.

Wie sieht das zur Stadt verdichtete Berlin für Sie aus?
Es sollte auf keinen Fall ein Architekturmuseum werden, sondern eine siedlungsgeografisch sinnvolle Struktur haben. Der sogenannte »Hundekopf«, also der S-Bahn-Ring, ist ein Verdichtungsansatz. Den müsste man weiter betreiben, vielleicht mit einem weiteren Ring. Daneben sollte es etwa vier oder fünf Zentren geben, die über diese Riesenfläche verteilt sind und gleichwertig nebeneinander stehen.

Welche Vorteile hätte das?
Man käme besser durch die Stadt, bräuchte deutlich weniger Zeit, um von A nach B zu kommen. Außerdem könnte sich die vorhandene Asymmetrie zwischen Ost und West auf eine gesunde Weise stabilisieren. Stadthistorisch gesehen war Westberlin immer etwas ganz anderes als Ostberlin. Die Zentren würden die verschiedenen Städte unter einer Stadt zusammenführen.

Sind Ost- und Westberlin bisher nicht zusammengeführt?
Berlin hat meines Erachtens, auch mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall, noch keine überzeugende Strukturplanung zuwege gebracht, die die riesigen Brachflächen, die überall in der Stadt zu finden sind, binden könnte. Ich nenne nur als Beispiel den Flughafen Tempelhof. Das Tempelhofer Feld war 1909 der Ursprung des Berliner Siedlungsbaus. Das heißt, der westliche Teil des Tempelhofer Feldes hatte bis 1914 die besten Siedlungstypen hervorgebracht. Dann kam es zum Verkauf und das Flugfeld ist entstanden. Jetzt ist das Flugfeld wieder nutzlos geworden und was wollen die Leute? Sie wollen eine Verhundertfachung der Schrebergärten.

Was halten Sie davon?
Wenn Schrebergärten gewollt sind, dann macht doch aus ganz Berlin wieder Dörfer. Wenn man das nicht will, dann verdichtet und schafft eine Siedlungsgeografie, die stimmig ist. Zum Beispiel mit Hilfe des Tatlin-Turms.

Dem Turm, den der russische Avantgarde-Architekt Tatlin 1917 entworfen hat, widmen Sie ein Kapitel in Ihrem Buch. Warum?
Für mich ist der Turm das schönste Bauwerk des 20. Jahrhundert, das nie gebaut wurde. Seit 15 Jahren gibt es einen Verein für den Bau des Tatlin-Turms. Ich könnte mir vorstellen, dass inzwischen, bei den technologisch konstruktiven Möglichkeiten, der Turm realisierbar wäre. Warum nicht auf dem Flugfeld Tempelhof? - Aber ich bin kein Stichwortgeber für Investoren.

Jahrelang ging es in Berlin architektonisch nur um den Osten. Am Ku'damm beginnt man jetzt, sich mit der Architektur der alten Bundesrepublik auseinanderzusetzen. Wie beurteilen Sie das?
Es ist ein Anfang. Mich interessiert natürlich, was architektonisch entsteht, aber Architektur ist nicht mein Schwerpunkt. Ich finde die Hochhäuser, die gerade um den Bahnhof entstehen, richtig. Ich finde es auch richtig, dass eine neue Skyline geschaffen wird, die diesen scheußlichen Jahn-Bau verdrängt. Das war ja eine Ungestalt ohnegleichen. Vorrangig ist nicht die solitäre Architektur, sondern die Stadtplanung.

Was muss geschehen, damit die Stadtplanung vorangetrieben wird?
Es muss eine politische Willensbildung stattfinden, um eine mittel- und langfristige Stadtplanung überhaupt zu ermöglichen. Dafür muss eine politische Diskussion beginnen, die langfristig Ziele setzt. Bisher gibt es diesen Diskurs nicht. Weil Berlin föderal organisiert ist und eine schwache Zentralregierung hat.

Sie sind vor allem als Schauspieler und Hörbuchsprecher bekannt. Woher kommt Ihre Ambition, sich mit dem Stadtbild Berlins auseinanderzusetzen?
»Das Stadtbild gehört uns«, sagt der Kunstkritiker Karl Scheffler. So heißt auch ein Kapitel in meinem Buch. Das ist eine Aufforderung: Es soll doch bitte uns gehören! Wenn ich mich um das Stadtbild kümmere - das ist nicht nur das Bild, sondern, wie will ich meine Stadt entwickelt sehen -, ist das natürlich immer chaotisch, irregulär und nie komplett planbar. Aber man muss visionäre Vorgaben haben, und die fehlen.

Sie schlagen in Ihrem Buch vor, die unterschiedlichen Stadtbebauungen offen zu legen. Was spricht gegen eine radikale Neubebauungen von Flächen?
Gegen eine neue Bebauung spricht erst einmal, dass das Vorhandene viel besser genutzt werden sollte. Bevor ich neu baue, muss ich den Bestand nutzen, den Bestand verdichten, den Bestand aufwerten. Der Abriss von halb Kreuzberg in den 70er Jahren und der Abriss von ähnlichen Vierteln im Osten zum Beispiel war eine Riesensauerei. Die Folgen hat man jetzt: siehe die Dresdner Straße in Kreuzberg. Natürlich muss es Neubebauung geben, aber man kann nicht mit der Neubebauung anfangen.

Trotz vieler Missstände kommen immer mehr Touristen nach Berlin.
Für Touristen heißt Berlin: Ich kann die Sau rauslassen. Die Stadt ist ein Attraktionsventil für die eigene Verlottertheit und zieht Touristen an, die sich zu Hause nicht so daneben benehmen können wie in Berlin. Mit dem Tourismus in Berlin hat es eine extrem gefährliche Entwicklung genommen. Eine Stadt sollte nicht auf Tourismus bauen, nicht in Deutschland. Das finde ich ganz, ganz gefährlich.

Wie hat sich für Sie das Lebensgefühl in Berlin in den letzten Jahren verändert?
Es hat sich erweitert. Man darf nicht vergessen, dass Berlin der einzige Stadtstaat in Deutschland ist, der wieder vereinigt wurde. Keine einzige Stadt ist wieder vereinigt worden, nur Berlin. Und das ist natürlich eine hochexperimentelle Angelegenheit.

Hanns Zischler: Berlin ist zu groß für Berlin, Galiani Verlag, Berlin 2013, 180 Seiten, 24,99 Euro.
Am Freitag, 7. Juni, 19.30 Uhr, liest Hanns Zischler aus seinem Buch in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal