Allabendliche Beichte

Demnächst vollständig in deutscher Sprache: Die Tagebücher der Brüder Goncourt

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie waren Brüder, schriftstellernde Brüder, Romanautoren. Der eine, Edmond de Goncourt, ein bisschen schüchtern und steif, war der Ältere und auch etwas größer als der quirlige Jules, sie waren unzertrennlich, gingen gemeinsam aus, teilten sich sogar die Geliebten und schrieben auch gemeinsam ihre Bücher. Sie waren stolz auf ihre aristokratische Herkunft und voller Verachtung für das »Volk«, die Leute von unten, die im Elend hausten und schmutzige Hände hatten, voller Vorurteile auch gegenüber den Juden. »Für mich ist es ein Opfer, einen Juden zu grüßen«, schrieb Jules 1866 ins Tagebuch, was beide allerdings nicht daran hinderte, sich im Salon des Barons Rothschild wohlzufühlen. Und auch der Dichter, den sie über alles liebten und am meisten feierten, war Jude: Heinrich Heine. Seine stilistische Lockerheit und Eleganz war ihnen Vorbild auch fürs Tagebuch.

Ihre Romane werden heute, zumindest in unserem Sprachraum, nur noch hin und wieder gedruckt. In Frankreich freilich ist ihr Name noch immer gegenwärtig. Es gibt die Académie Goncourt, und es gibt den Prix Goncourt, den sie verleiht, die wichtigste literarische Auszeichnung des Landes. Und dann sind da noch die Tagebücher, das legendärste Unternehmen, dem sich die Brüder hingaben, ein Klassiker, der von seiner Faszination nichts verloren hat, vielgelesen, bestaunt und bewundert, eine Niederschrift voller Temperament, Neugier, Witz und Bosheit, skurril, frech, klatschsüchtig.

Deutsche Leser kennen dieses Tagebuch nur in eher mageren Ausschnitten. Nie hat sich ein Verleger entschließen können, das einzigartige, höchst amüsante Porträt der Belle Epoque ganz zu drucken, ungefiltert und ohne Auslassungen. Auch die beiden letzten Ausgaben, eine in der Anderen Bibliothek (1989), die andere im Insel-Taschenbuch (1996), waren einbändige Auswahlbände. Doch nun ist das Wunder, an das so viele Goncourt-Fans kaum noch geglaubt haben, greifbar nah: Der Haffmans-Verlag, der seit einiger Zeit unter dem Dach von Zweitausendeins publiziert, kündigt für den 15. November die kompletten Tagebücher an, elf Leinenbände mit über siebentausend Seiten, dazu ein Begleitbuch mit einem Aufsatz über die Brüder, einer Chronik, einem Bildteil und Register. Acht Jahre lang haben drei erfahrene Übersetzerinnen - Cornelia Hasting, Petra-Susanne Räbel und Caroline Vollmann - über dem Riesenwerk gesessen, damit die »Erinnerungen aus dem literarischen Leben 1851 bis 1896« erstmals ungekürzt in deutscher Sprache gedruckt werden können.

Am 2. Dezember 1851 haben Edmond (1822 - 1896) und Jules de Goncourt (1830 - 1870) mit ihren Aufzeichnungen begonnen. Sie hatten den Abend in einer aufgekratzten Herrenrunde verbracht und mit viel Wein ihr gerade erschienenes erstes Buch gefeiert, als sie auf die Idee kamen, alles festzuhalten, was dabei erzählt und gesprochen wurde. Sie machten sich gleich ans Werk, und sie ließen dieses Werk fortan auch nicht mehr aus den Augen. Als Jules starb, wollte Edmond das Buch schon zuschlagen, aber dann besann er sich und machte weiter wie bisher, beobachtete, kommentierte, schrieb über Kleidermoden und Politskandale, schilderte Theaterabende und Speisefolgen und die Nichtigkeiten des Tages.

Sie sprachen, als wären sie ein einziges Wesen. »Das Tagebuch«, erklärten sie, »ist unsere allabendliche Beichte: die Beichte zweier in der Freude, der Arbeit, dem Schmerz unzertrennlicher Lebensläufe; zweier zwillinghafter Denkweisen, zweier Geister, die im Kontakt mit Menschen und Dingen derart gleiche, identische, ununterscheidbare Eindrücke gewinnen, daß diese Beichte als die Offenbarungen eines einzigen Ich und einzigen Selbst verstanden werden kann.« Sie waren das seltsamste Duo, das in den Salons aufkreuzte, weil sie so sehr ein Herz und eine Seele waren und mitunter sogar verwechselt wurden, aufmerksame Zuhörer, scharfe Beobachter und charmante Plauderer beide. Théophile Gautier vermutete gar, sie würden sich unentwegt heimlich Notizen machen: »Sobald man sie nicht anschaut, müssen sie wohl auf ihre Manschetten schreiben.«

Sie nahmen kein Blatt vor den Mund, zügelten nicht ihre Spontaneität und besserten nichts aus. »Balzac fraß wie ein Schwein«, notierten sie im Januar 1852. »Einer Magenverstimmung nahe, den Bauch von Fressalien aufgebläht und fast irr ging er schlafen.« Flaubert, der im Übrigen ihre kritische Bewunderung genoss, »ein maßloser Tolpatsch«, Rimbaud »ein Dämon der Perversität«, Daudet ein Wüstling, so geht es weiter. Wichtiger als solche Sottisen aber ist anderes, sind die genauen Schilderungen, die Blitzlichter, die das literarische Leben in Paris erhellen, die witzigen Anekdoten, die mit Inbrunst gemalte Szenerie voller Wunder, Glanz und Abscheulichkeiten, in der alle auftreten, die in jener Zeit das französische Geistesleben repräsentierten. Natürlich machten sich die Brüder mit ihrer Schonungslosigkeit, ihrer ungemilderten Direktheit nicht nur Freunde. Um Edmond, der Jules um 26 Jahre überlebte, ist es zuletzt immer einsamer geworden. Nur die beiden Dumas, Vater und Sohn, hielten zu ihm. In ihrem Haus ist er auch gestorben.

Gerd Haffmans hat die Leser in den letzten Jahren mit wunderbaren Editionen beglückt, etwa einer handlichen, schöngestalteten Flaubert-Ausgabe, attraktiven Gedichteditionen von Morgenstern oder Kästner und dem prächtigen Druck aller Tagebücher von Samuel Pepys. Dieser Großtat folgen nun die elf Bände mit dem Goncourt-Journal. Sie sollen einmal 250 Euro kosten. Wer die Ausgabe bis zum 31. August bei Zweitausendeins bestellt, zahlt indes nur 175 Euro. Und wird namentlich im Begleitband als Unterstützer des Projekts genannt.

Edmond und Jules de Goncourt: Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben 1851 - 1896, Hrsg. von Gerd Haffmans, Deutsche Erstausgabe, 11 Bände Tagebuch und ein Begleitbuch, Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Erscheint Ende 2013, bis 15. Nov. 2013 Euro 175, danach Euro 250, Bestell-Nummer 240 150.

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