Der Prophet und sein Pressesprecher

Christian Stückl inszeniert »Moses« am Passionstheater Oberammergau

  • Lesedauer: 6 Min.
Seit 2002 ist Christian Stückl Intendant am Münchner Volkstheater. Er arbeitete als Gastregisseur u.a. in Wien, Bonn, Karlsruhe, Hannover und Mysore (Indien). Stückl inszenierte Hugo von Hofmannsthals »Jedermann« für die Salzburger Festspiele und in Köln Ludwig van Beethovens »Fidelio«. 2006 gestaltete er im Auftrag des österreichischen Aktionskünstlers André Heller die Eröffnungsfeier der Fußball-WM in München. Mit dem Regisseur sprach Ingolf Bossenz.

nd: Christian Stückl, der Mann Moses scheint Sie ja tüchtig umzutreiben. Am kommenden Freitag hat Stückl: »Moses« unter Ihrer Regie in Oberammergau Premiere. Im Münchner Volkstheater, wo Sie Intendant sind, wurde die vergangene Saison ebenfalls mit »Moses« eröffnet.
Der Münchner »Moses« würde nicht nach Oberammergau passen: Die Inszenierung von Simon Solberg ist ein Mash-up-Musical.

Aha.
Die Hebräer arbeiten darin auf einer Müllhalde irgendwo in der Dritten Welt. Sie finden dann eine Bibel und daraus entwickelt sich die Geschichte um Moses. Es gibt eine Menge Songs, Musik verschiedenster Art. Handlung, Musik, Gestern und Heute durchmischen und überblenden sich. Das ist, ganz kurz gesagt, Mash-up.

Mit »Joseph und seine Brüder« nach Thomas Mann und »Antonius und Cleopatra« von Shakespeare haben Sie das Oberammergauer Passionstheater zweimal nach Ägypten geführt. Folgt dieses Jahr mit »Moses« der Auszug?
So kann man es sehen. Natürlich steht im Mittelpunkt des Stücks der Exodus, die Auswanderung der Israeliten aus dem Reich des Pharaos vor über 3300 Jahren, wie sie das Alte Testament beschreibt. Dass nach den Ägypten-Stücken von 2011 und 2012 ein drittes kommt, war zwar nicht geplant, ist aber durchaus folgerichtig.

Weil der religiöse Stoff zu Oberammergau passt?
Wir haben die Tradition der Passionsspiele, die seit dem 17. Jahrhundert alle zehn Jahre stattfinden. In den Aufführungen 1990, 2000 und 2010, die ich als Spielleiter inszenierte, wurde das Wirken von Moses wichtigstes Thema der sogenannten lebenden Bilder - als Stillleben nachgestellte Szenen aus dem Alten Testament. Der Gründungsmythos des Judentums traf damit den Gründungsmythos des Christentums.

Was fasziniert Sie an Moses, dass Sie ihn nun pur auf die 70 Meter breite Freilichtbühne des Passionstheaters bringen?
Moses ist eine der wuchtigsten und zugleich widersprüchlichsten biblischen Gestalten. Er handelt zwar im Auftrag Gottes, muss sich aber immer wieder sowohl mit seinen eigenen Zweifeln als auch mit der religiösen Renitenz des von ihm geführten Volkes herumschlagen.

Ein solcher komplizierter Charakter ist eine Herausforderung für jeden Stückeschreiber.
Darum bin ich sehr froh, dass wir dafür den deutsch-türkischen Schriftsteller Feridun Zaimoglu und seinen Koautor Günter Senkel gewinnen konnten. Zaimoglu hatte nach den Passionsspielen 2000 für »Die Zeit« eine wunderbar einfühlsame Rezension geschrieben. Ich habe ihn dann als einen Künstler kennengelernt, der sich wirklich tiefgründig mit Religion auseinandersetzt. Nicht zuletzt mit seiner eigenen.

Ein Muslim als Moses-Autor?
Der Autor ist Muslim, der Regisseur ist Katholik, der Stoff ist jüdisch. Mehr interreligiöser Zusammenklang geht kaum. Moses ist schließlich in allen drei monotheistischen Religionen präsent. Er ist sozusagen deren Basis.

Im Unterschied zu Thomas Mann oder gar Shakespeare ist Feridun Zaimoglu ein ausgesprochen moderner Autor. Passt seine Stoffumsetzung zum kulturellen Kolorit eines oberbayerischen Passionsspieldorfes?
Perfekt. Sein Text könnte formal durchaus in früheren Jahrhunderten entstanden sein. Das Erzählte ist nah dran am Alten Testament und erfasst die Konflikte, die auch heute spannend sind.

Welche sind das?
Da ist vor allem der gewaltige, schier übermenschliche Auftrag, den Moses erhält und an dem er immer wieder zu scheitern droht. Denn nicht nur das Göttliche, sondern vor allem das Menschliche, Allzumenschliche bestimmt die Schwierigkeiten und Wagnisse auf dem Weg in die Freiheit, ins Gelobte Land. Und da sind die von Gott gesandten Gebote, denen zu widerstreiten auch Moses immer wieder versucht ist. Du sollst nicht töten, heißt es - er aber tötet für den Glauben. Ein zerrissener Prophet, ein zerrissenes Volk. Das ist modernster, Jahrtausende alter Erzählstoff.

Den Sie wieder mit Laiendarstellern in Szene gesetzt haben?
Oberammergauer spielen in Oberammergau. Wie immer bei den Passionsspielen und den Inszenierungen der vergangenen Jahre.

Wird es erneut eindrucksvolle Volksmassen und opulente optische Effekte geben? Ich denke da an die zehn Plagen, das geteilte Meer oder den Empfang der Gesetzestafeln auf dem Berg Horeb.
Wir haben sogar schon unser Reptilienhaus im Ort konsultiert, wie man am besten Moses' Stab in eine Schlange verwandeln kann. Aber bei solchen Effekten ist auch immer Vorsicht geboten, um die Grenze zum Klamauk nicht zu überschreiten. Ein flammender Dornbusch sollte nicht wie ein Bunsenbrenner wirken. Die Massenszenen sind diesmal dezenter angelegt, damit die zentralen Figuren stärker in Erscheinung treten: Im ersten Teil sind das Moses und der Pharao, im zweiten Moses und sein Bruder Aaron.

Aaron war ja für Moses, der sich angeblich nur unzulänglich gegenüber seinem Volk artikulieren konnte, eine Art Pressesprecher.
Und er wird gespielt vom Pressesprecher des Passionstheaters, Frederik Mayet. Bei der Passion 2010 war er einer der beiden Jesus-Darsteller. Den Moses gibt Carsten Lück, der Judas von 2010.

Die Darsteller müssen für Proben und Aufführung Urlaub nehmen, können in dieser Zeit nicht verreisen, die Gage ist nicht üppig. Es gibt Stimmen, dass das Oberammergauer Sommertheater an seine Grenzen stößt.
Es gab und gibt immer ein paar Ungläubige, die zweifeln. Ich kann nur sagen: Es ist alles im Guten und Reinen. Ich habe auch nicht ansatzweise Schwierigkeiten gehabt, die erforderlichen Spieler zu bekommen. Natürlich ist immer mal der eine oder die andere verhindert, wegen des Studiums oder beruflicher Verpflichtungen. Manche wollen nach jahrelangem Sommereinsatz einfach mal eine Pause machen. Aber die große Lust am Spielen, die bleibt bestimmend für die Oberammergauer.

Also wird Oberammergau auch künftig nicht nur alle zehn Jahre eine feste Theateradresse bleiben?
Wir, also die Passionstheater GmbH, haben gerade den Vertrag mit der Gemeinde bis 2015 verlängert. Danach sehen wir weiter. Ich habe schon Lust, im Sommer auch mal wieder nach Indien zu reisen und dort zu inszenieren.

In Oberammergau soll es bei den Stoffen mit jüdisch-christlichem Bezug bleiben, als eine Art religiöses Breitwandtheater?
Sicher steht Oberammergau für die Auseinandersetzung mit religiösen Themen. Doch das ist kein Dogma. So, wie wir diesmal mit einem heutigen Autor gearbeitet haben, müssen wir auch künftig den Mut besitzen, für unser großartiges Haus nach passendem, aber auch neuem und überraschendem Bühnenwerk zu suchen.

Dann bleibt mir nur noch, Ihnen für die Premiere Hals- und Beinbruch zu wünschen.
Lieber nicht. Ich bin erst im März nach einem Sturz in Oberammergau wegen eines Wadenbeinbruchs ausgefallen.

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