Auswege aus Europas Krisen

Bankenkontrolle, mehr Demokratie, Reform der EU? Was wirklich zur Wahl steht - die Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien / Teil II der nd-Serie

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Die machen doch sowieso alle das Gleiche, lautet eine verbreitete Meinung über Parteien. Nur ein Viertel der Wahlberechtigten, so das Ergebnis einer aktuellen Studie, können zwischen SPD und Union überhaupt einen Unterschied erkennen. Und: Wer liest schon die seitenlangen Wahlprogramme? Cornelia Hildebrandt und Jochen Weichold haben sich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Forderungen der im Bundestag vertretenen Parteien angeschaut. Was Rot von Gelb und Grün von Schwarz unterscheidet, lesen Sie hier in täglich in einer nd-Serie.

Die Ursachen für die europäischen Krisenprozesse werden von den einzelnen im Bundestag vertretenen Parteien unterschiedlich eingeschätzt, und folglich unterscheiden sich auch ihre Antworten auf die Frage nach den Auswegen aus Europas Krisen. Zwar ist auch CDU/CSU und FDP bewusst, dass die internationale Finanzmarktkrise vor der Krise der Staatshaushalte insbesondere südeuropäischer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) stand, doch reduzieren sie das Krisengeschehen auf eine Staatsschuldenkrise, um in den betroffenen Staaten neoliberale Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen nach dem Modell der deutschen »Agenda 2010« durchzudrücken. CDU/CSU und FDP wollen die bisherige Austeritätspolitik in Europa fortsetzen: »Damit der Euro eine starke und stabile Währung bleibt, brauchen wir weitere Anstrengungen und Reformen vor allem in den Staaten, die Hilfe in Anspruch nehmen«, schreiben die Unionsparteien in ihrem Wahlprogramm. Und die FDP fordert: »Der Reformdruck muss erhalten bleiben.«

Die SPD betont, dass die unverantwortlichen Spekulationen auf den Finanzmärkten zu einer dramatisch gestiegenen Staatsverschuldung in Europa geführt haben. Durch eine gerechte Besteuerung der Finanzmärkte müsse der Finanzsektor jetzt auch dazu beitragen, diese Schulden wieder abzutragen. Kein Finanzmarktakteur, kein Finanzprodukt, kein Markt dürfe in Zukunft unreguliert sein. Die SPD kritisiert, dass die Politik der konservativen deutschen Bundesregierung alle Länder Europas zeitgleich in eine reine Kürzungs- und Austeritätspolitik ohne jeden Wachstumsimpuls gezwungen hat. Sie will dagegen den Weg zu soliden Staatsfinanzen durch Impulse für Wachstum und Arbeitsplätze begleiten.

DIE GRÜNEN konstatieren, dass die gegenwärtige Krise eben nicht einfach eine Staatsschuldenkrise sei. Die ökonomischen Ungleichgewichte in der Europäischen Union hätten ihre Ursache sowohl in den Defizit- als auch in den Überschussländern. Die von der Bundesregierung betriebene einseitige Exportorientierung Deutschlands habe zu massiven Ungleichgewichten in der Europäischen Union beigetragen. Unter Merkels Führung sei das Europa der Nationalstaaten auf Kosten der Europäischen Gemeinschaft reaktiviert worden. Statt nur auf einseitige Sparpolitik in den Krisenländern zu setzen, die Europa immer tiefer in die Krise führe und den sozialen Zusammenhalt gefährde, gelte es, eine Balance in einer Politik der Solidität, Solidarität und Nachhaltigkeit zu finden. Eine europäische Wirtschaftspolitik müsse mehr dafür tun, dass sich die Wirtschaftskraft der Mitgliedsstaaten gleichmäßiger entwickelt. Dazu müsse die Binnenkonjunktur in den Überschussländern gestärkt werden. DIE GRÜNEN streiten in diesem Kontext für einen ökologisch-sozialen Umbau Europas. Erforderlich sei eine Erneuerung der europäischen Wirtschaft im Sinne eines europäischen Green New Deal, gewissermaßen eine grüne industrielle Revolution.

DIE LINKE sieht die maßgebliche Ursache der größten Krise der Weltwirtschaft seit 80 Jahren in den Ungleichgewichten in der Außenwirtschaft in Europa und weist darauf hin, dass die Rettung der Banken die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben habe. Am Anfang jeder Krisenlösung müsse stehen: »Abbau der Ungleichgewichte, steigende Löhne und sozial-ökologische Investitionsprogramme, die Nachfrage steigern, Finanzmärkte regulieren und Vermögende besteuern.« Deutschland habe durch Kürzungsdiktate eine zentrale Rolle bei der Verschärfung der Krise gespielt und die Krisenländer wie Europa insgesamt destabilisiert. DIE LINKE will dagegen (1) einen Schutzschirm für Menschen schaffen statt für Banken und die Profiteure der Krise zur Kasse bitten, (2) eine stabile, nachhaltige und sozial gerechte wirtschaftliche Entwicklung in Europa einleiten und (3) eine langfristig tragfähige Perspektive für die europäische Einigung schaffen.

Exemplarisch für die unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Auswege aus Europas Krisen ist die Haltung der Parteien zur »Europäischen Jugendgarantie«. Während sich SPD, GRÜNE, LINKE und selbst CDU/CSU für ein solches Sofortprogramm zur Jugendbeschäftigung in der EU aussprechen, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern zu bekämpfen, lehnt es die FDP ab: Staatlich finanzierte Beschäftigungsprogramme seien ordnungspolitisch falsch, auf Dauer unfinanzierbar, erreichten lediglich Strohfeuereffekte, und ihre Ausgaben würden die Staatsfinanzkrise weiter verschärfen.

Zwar sind sich alle Bundestagsparteien darin einig, dass es zur Vermeidung eines neuen Finanzmarkt-Crashs einer Regulierung der Finanzmärkte und einer Wieder-Zusammenführung von Risiko und Haftung bedarf. Doch hinsichtlich der geeigneten Instrumente gibt es gegensätzliche Positionen. Während SPD und GRÜNE für die Schaffung eines Schuldentilgungsfonds und DIE GRÜNEN auch für die Einführung von Eurobonds eintreten, um die Handlungsfähigkeit aller Mitglieder in der Währungsunion sicherzustellen, lehnen dies FDP und CDU/CSU mit Vehemenz ab und wenden sich gegen eine »Vergemeinschaftung der Schulden«. Die SPD argumentiert, nachdem durch den Fiskalpakt und andere europäische Kontrollmechanismen strenge und wirkungsvolle Auflagen für die nationale Haushaltsdisziplin aufgestellt worden seien, dürfe das Thema der gemeinsamen Haftung kein Tabu mehr bleiben. Schon jetzt hafte durch die Euro-Rettungsschirme und die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) der deutsche Steuerzahler mit Hunderten von Milliarden.

Während SPD, GRÜNE, LINKE und auch CDU/CSU für eine Finanztransaktionssteuer plädieren, wendet sich die FDP indirekt dagegen: »Neue Steuern können die Aufsichts- und Regelungslücken im Bereich der Finanzmärkte nicht schließen.« Während die CDU/CSU für eine wirksame europäische Bankenaufsicht bei der EZB für die großen, systemrelevanten Banken eintritt, lehnt DIE LINKE dies ab, weil es der EZB an unmittelbarer demokratischer Legitimation fehle. Auch FDP, SPD und GRÜNE plädieren für eine gemeinsame europäische Bankenaufsicht, verlangen aber eine strikte institutionelle Trennung zwischen Zentralbank- und Aufsichtsfunktionen. Als einzige Bundestagspartei fordert DIE LINKE, dass die EZB die Staaten in der Eurozone in einem festgelegten Rahmen direkt finanziert. Private Großbanken will sie in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung überführen.

Bis auf die CDU/CSU gehen alle Bundestagsparteien davon aus, dass die abgehobenen Vergütungs- und Boni-Systeme im Bankensektor die internationale Finanzmarktkrise befeuert haben, beschreiten aber unterschiedliche Wege bei ihrer Begrenzung. Um nachhaltige und unter Risikogesichtspunkten verantwortbare Investitionsentscheidungen zu befördern, will die FDP den Einfluss der Hauptversammlung auf die Vergütung des Managements stärken, indem sie Vergütungen der Vorstände oberhalb bestimmter Rahmenvorgaben und Beträge an die Zustimmung durch die Gesellschafter knüpft. »Eingriffe in Eigentümer- und Aktionärsrechte […] lehnen wir ab.«

Die SPD und DIE GRÜNEN fordern eine wirksame Langfristorientierung der Vergütungs- und Boni-Systeme. Die SPD verlangt die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Vorstands- und sonstigen Managergehältern (einschließlich Boni und Abfindungen) auf maximal 50 Prozent der Beträge, die 500.000 Euro übersteigen. DIE GRÜNEN wollen die steuerliche Abzugsfähigkeit der Vergütung von Vorständen börsennotierter Unternehmen auf 500.000 Euro begrenzen. Bonuszahlungen sollten am Gewinn orientiert sein und dürften künftig zusammen mit anderen variablen Gehaltsbestandteilen wie Tantiemen und Aktienoptionen maximal ein Viertel des Gesamtgehalts ausmachen. DIE LINKE fordert eine gesetzliche Begrenzung der Managergehälter auf das 20-fache der untersten Lohngruppe des jeweiligen Unternehmens, was immer noch einem Jahresgehalt von etwa einer halben Million Euro entspräche. Sie will Boni und überhöhte Abfindungen insgesamt ausschließen.

Keine der Bundestagsparteien stellt die EU in ihrem Wahlprogramm grundsätzlich in Frage, keine beabsichtigt, aus der Gemeinschaftswährung Euro auszutreten, doch hinsichtlich der Art und Weise der weiteren europäischen Integration zeichnen sich deutliche Unterschiede ab. Für CDU und CSU seien die Nationalstaaten und die Regionen prägende Bestandteile eines Europas der Einheit in Vielfalt. Sie wollen »kein zentralistisch organisiertes und regiertes Europa« und betonen die »christlich-abendländischen Wurzeln« Europas. Die FDP will den Weg der Vertiefung der europäischen Integration hin zu einer »politischen Union mit festen föderalen Grundsätzen, demokratischen Strukturen und einer klaren subsidiären Ordnung« gehen. Zentralismus dürfe Europa nicht prägen. Eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Europas sei eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg zur politischen Union.

Die SPD will die politische Union Europas weiter vertiefen und ein soziales Europa schaffen und erklärt: »Wir brauchen […] in Europa eine Neubegründung der Sozialen Marktwirtschaft mit klaren Regeln für die Märkte.« Sie plädiert für eine stärkere Demokratisierung Europas und für eine stärkere Harmonisierung von europäischer Arbeits-, Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Investitionspolitik. Die SPD setzt sich für eine engere Abstimmung der Steuerpolitik der Mitgliedstaaten und für verbindliche Steuer-Mindeststandards für Unternehmensgewinne und Kapitaleinkommen ein. Eine Währungsunion brauche auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik mit längerfristig ausgeglichenen Leistungsbilanzen.

DIE GRÜNEN wollen die Wirtschafts- und Währungsunion um eine politische Union ergänzen. Ein gemeinsamer Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung ohne eine abgestimmte Finanz-, Haushalts-, Wirtschafts- und Steuerpolitik und ohne verbindlich vereinbarte Sozialstandards könnten auf Dauer nicht funktionieren. DIE GRÜNEN wollen diesen Konstruktionsfehler beheben: Die Eurostaaten müssten ihre Wirtschafts- und Fiskalpolitiken stärker aufeinander abstimmen. DIE GRÜNEN erklären: »Wir wollen Schluss machen mit dem Unterbietungswettbewerb bei Löhnen, Steuern und sozialen Standards.« Sie plädieren für gemeinsame europäische Regelungen, wie soziale Mindeststandards, eine soziale Fortschrittsklausel und einen europäischen Steuerpakt.

DIE LINKE tritt für ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa ein, das dem Klammergriff der Finanzmärkte entzogen wird: »DIE LINKE steht für einen Neustart der Europäischen Union.« Die Partei fordert eine grundlegende Veränderung der vertraglichen Grundlagen der EU, um die Voraussetzungen für eine demokratische, soziale, ökologische und friedliche Europäische Union zu schaffen. DIE LINKE will eine EU, die Wohlstand und Wohlfahrt für alle fördert. Sie fordert eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen. Soziale Grundrechte und die Tarifautonomie müssten Vorrang vor den Binnenmarktfreiheiten haben. DIE LINKE verlangt Mindestregelungen für ein europäisches Tarif- und Sozialsystem. Das Recht auf politischen Streik müsse in ganz Europa ausgeübt werden können.

Die FDP, die SPD, DIE GRÜNEN und DIE LINKE setzen sich für eine Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments ein, und die SPD möchte generell das Gewaltenteilungsmodell der nationalen Staaten auf die europäische Ebene übertragen. GRÜNE und LINKE plädieren für stärkere Mitspracherechte der Bürgerinnen und Bürger. DIE LINKE verfolgt das Ziel, in der EU verbindliche Volksbegehren und Volksentscheide zu ermöglichen, mit denen auch die EU-Verträge geändert werden können.

»Wahlprogramme der Parteien im Vergleich« von Jochen Weichold und Cornelia Hildebrandt ist erschienen in der Reihe rls papers der Rosa-Luxemburg-Stiftung und kann hier komplett heruntergeladen werden.

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