Tokio schreitet in Fukushima ein

Staatsmilliarden sollen Bewerbung um Olympia 2020 stützen

  • Susanne Steffen, Tokio
  • Lesedauer: 3 Min.
Die japanische Regierung verliert die Geduld mit dem Betreiber des havarierten Atomkraftwerks Fukushima. Immer mehr Schreckensmeldungen über verseuchtes Wasser dringen an die Öffentlichkeit. Tokio will nun 47 Milliarden Yen zur Schadensbegrenzung zahlen.

Jetzt übernimmt der Staat das Ruder in Fukushima. Am Dienstag erklärte die japanische Regierung erklärt, sie werde 47 Milliarden Yen (360 Millionen Euro) investieren, um der Probleme mit kontaminiertem Wasser in dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi Herr zu werden. Das staatliche Engagement wird angekündigt, bevor das Internationale Olympische Komitee am Sonnabend entscheidet, ob die 230 Kilometer von Fukushima entfernt liegende Hauptstadt Tokio im Jahr 2020 die Olympischen Sommerspiele ausrichten darf.

»Die ganze Welt schaut auf uns. Die gesamte Regierung wird sich um das Problem kümmern«, versicherte Premier Shinzo Abe, der sich im Ausland auch gern als Chefvermarkter der japanischen Atomindustrie präsentiert. Die staatlichen Gelder sollen dazu dienen, die Lecks in Speichertanks für hochgradig radioaktive Abwässer zu flicken und weitere Entseuchungssysteme zu finanzieren.

Darüber hinaus will die Regierung bis 2015 rund um die havarierten Reaktoren mit Kühlmittel gefüllte Rohre in die Erde treiben, um den Boden zu vereisen. Dadurch soll Grundwasser aus der Gefahrenzone ferngehalten werden. Denn sobald das Erdreich gefriert, macht das Grundwasser auf dem Weg ins Meer einen Bogen um die Anlage - hoffen die Experten.

In den vergangenen Tagen und Wochen war deutlich geworden, wie dramatisch das Wasserproblem tatsächlich ist. Mehrere der insgesamt 1000 Tanks, in denen schon gut 340 000 Tonnen stark radioaktives Kühlwasser lagern, sind undicht. Aus einem Tank waren gar 300 Tonnen dieses radioaktiven Wassers sehr wahrscheinlich ins Meer geflossen.

»Man hat uns gesagt, wir sollen lieber schnell arbeiten als auf Qualität zu achten«, erinnert sich ein Arbeiter eines Subunternehmers, den die Betreibergesellschaft Tepco vor gut zwei Jahren mit dem Bau der Speichertanks beauftragt hatte. »Wir hatten Bedenken, dass das giftige Wasser auslaufen könnte«, ergänzte der nicht namentlich genannte Arbeiter gegenüber der Nachrichtenagentur Kyodo. Gerade einmal drei Tage hätten sie gehabt, um einen elf Meter hohen Tank zu bauen, der 1000 Tonnen radioaktiven Wassers fasst. Um Zeit zu gewinnen, wurden bei rund einem Drittel der Tanks die Stahlwände verschraubt statt verschweißt.

An einer Kühlwasserpfütze ist die Strahlung mittlerweile so hoch, dass sie einen Menschen nach nur vier Stunden ungeschützter Verweildauer töten würde. Zusätzlich gelangen jeden Tag schätzungsweise 300 Tonnen mäßig verstrahltes Grundwasser, das nicht in den Reaktorgebäuden hängen bleibt, in die Hafengewässer des Atomkraftwerks. Glücklicherweise verhindert eine Spezialsperre im Hafenbecken, dass große Mengen radioaktiver Stoffe in den Pazifik fließen. Doch das hochgradig verstrahlte Wasser aus den maroden Tanks hat sich vermutlich durch Abwasserkanäle einen Weg vorbei an der Sperre direkt ins offene Meer gebahnt.

Vor wenigen Tagen erhob der Unterhausabgeordnete Sumio Mabuchi im japanischen Privatsender TBS schwere Vorwürfe gegen das Energieunternehmen Tepco. Schon vor zwei Jahren, wenige Monate nach dem Unfall, hätten fertige Pläne für eine ähnliche Grundwassersperre, wie sie die Regierung jetzt plant, auf dem Tisch gelegen, sagte Mabuchi. Der Politiker der Demokratischen Partei (DPJ) war damals für die Regierung an der Erarbeitung des Plans beteiligt. »Tepco war von Anfang an skeptisch«, berichtet der Politiker. Er vermute, das Management habe die extrem hohen Kosten gescheut. Erst im vergangenen Juli hatte Tepco eiligst einen Schutzwall auf der Meeresseite errichtet, nachdem bekannt geworden war, dass kontaminiertes Grundwasser in das Hafenbecken fließt. Mittlerweile ist der Grundwasserspiegel jedoch so hoch, dass das Wasser über den Wall hinweg fließt. »Hätten wir unser Projekt vor zwei Jahren durchgezogen, wäre der Rundumschutz jetzt fertig und wir hätten dieses Problem gar nicht«, wettert Mabuchi.

Damals hätte allerdings Tepco zahlen müssen. Jetzt springt der Staat ein, um - wie Kritiker anmerken - vor allem die schlechte Berichterstattung im Ausland vor dem Olympia-Entscheid zu entschärfen. Bisher galt Tokio als Favorit im Rennen mit Madrid und Istanbul.

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