Vom Melken des Sanddorns

Die Ernte des Vitaminwunders von der Ostseeküste fällt in diesem Jahr nur mäßig aus

  • Jürgen Drewes, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Nordosten läuft die Ernte der gelben, orangefarbenen oder knallroten Sanddornbeeren. Der Ertrag ist diesmal vermutlich nur durchschnittlich, der Winter war zu kalt. Züchter arbeiten jedoch bereits an Sorten, die resistenter gegen Frost sind.

Ribnitz-Damgarten. Erhard Jasper ist mit dem Sanddorn nicht ganz zufrieden. Immer wieder wirft der Inhaber der Darßer Manufructur einen kontrollierenden Blick auf einzelne Sträucher seiner Plantage in Behrenshagen bei Ribnitz-Damgarten (Mecklenburg-Vorpommern). »Der Fruchtansatz könnte besser sein. Aber es war im Frühjahr zu lange zu kalt und später auch zu nass«, sagt er. Jasper erwartet eine nur durchschnittliche Ernte.

Der Sanddorn-Spezialist Friedrich Höhne kennt noch einen weiteren Grund für die mäßige Ausbeute. Nach Temperaturen von bis zu minus 18 Grad im vorigen Winter haben viele Sträucher nicht überlebt, vor allem viele männliche nicht. Doch deren Pollen sind für die Windbestäubung der weiblichen Pflanzen unersetzlich.

Interesse in Schweden

Die Züchter sind bemüht, Sorten hervorzubringen, die resistenter gegen Frost sind als die bislang vier Sorten, die in Mecklenburg-Vorpommern vorrangig angebaut werden. Höhne ist Chef des Gartenbau-Kompetenzzentrums der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei in Gülzow bei Güstrow. Dort testet er rund 20 Sanddornsorten auf ihre Anbaufähigkeit in Norddeutschland.

Das Thema beschäftigt auch die Beerenobstanbauberaterin Kirsten Jensen aus dem südschwedischen Skara. Sie will in der Region Götaland den Sanddornanbau etablieren. »Rund 20 Betriebe sind interessiert. Allein es fehlt uns noch immer an Sorten, die auch mit extremen Witterungsbedingungen klarkommen«, sagt die 48-Jährige. Deshalb hält sie Kontakt zum Gülzower Kompetenzteam, um dessen Erkenntnisse auf eine Nachnutzung in Schweden zu prüfen. Dabei setzt Jensen auch auf den Rat von Hans-Joachim Albrecht. Der über 80-Jährige gilt als der deutsche Sanddornexperte schlechthin.

Mitte der 1970er Jahre hatte der versierte Gärtner begonnen, im Auftrag der DDR-Regierung einen alternativen Vitaminspender zur Zitrone hervorzubringen. Für Zitronen fehlten damals zunehmend die Devisen. Nach wenigen Jahren wuchs mit der Sanddornsorte Leikora die »Zitrone des Ostens« heran - mit einem zehnfach höheren Vitamin-C-Gehalt als die Zitrone selbst. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die aber erst jetzt zunehmend zum Tragen kommt. Deutschlandweit hat sich die Plantagenfläche in den vergangenen zehn Jahren auf 500 Hektar mehr als verdoppelt. Bevorzugtes Anbaugebiet ist der Nordosten. Von Anfang an dabei ist die Storchennest GmbH Ludwigslust, die als größte Plantage bundesweit gilt. Dort wird dieser Tage Sanddorn auf rund 100 Hektar geerntet.

Bis 1990 waren Plantagen eher die Ausnahme. Stattdessen wurden die Sträucher zumeist im Küstenschutz gepflanzt. »Wir haben auf festgelegten Dünen kilometerlang Sanddorn in den Seesand gesteckt«, erinnert sich der Leiter des Staatlichen Amtes für Landwirtschaft und Umwelt in Rostock, Hans Joachim Meier. »Weil die Wurzeln tief in den Boden eindringen, konnten sie den Sand festhalten - einfach ideal.«

Ausgepresst am Strauch

Geerntet - oder gemolken, wie es hieß - wurde der Sanddorn vor allem im Nebenerwerb. Viele Menschen nahmen sich tagelang Urlaub, um mit Schutzhandschuhen ausgerüstet die Beeren direkt an den stacheligen Sträuchern auszupressen - quasi zu melken - und den Saft durch die geschlossene Faust in mitgebrachte Gefäße fließen zu lassen. Das war für die Helfer aufwendig und gewinnbringend zugleich. Inzwischen gibt es andere Verfahren. Der große Durchbruch ist jedoch bis heute nicht gelungen. So werden die Beeren weiterhin bevorzugt per Hand geerntet. Bis zu 40 Zentimeter lange Aststücke samt Beeren werden mit einer Schere vom Strauch abgeschnitten und anschließend bei minus 40 Grad schockgefrostet. Dann fallen die Früchte fast von allein ab und können ausgepresst werden.

Sanddorn gilt nach wie vor als teurer Rohstoff. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: Pharma- und Kosmetikhersteller, Saft-, Wein-, Marmeladen-, Bonbon-, Tee- und Likörproduzenten sind interessiert. Die Nachfrage steigt ständig.

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