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  • Interview mit der Ostbeauftragten

Kaiser: »Rück- und Zuwanderung ist für die Zukunft wichtig«

Elisabeth Kaiser, erklärt welche Bedeutung sie der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr beimisst.

  • Interview: Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser blickt berufsbedingt optimistisch auf Ostdeutschland.
Die Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser blickt berufsbedingt optimistisch auf Ostdeutschland.

Frau Kaiser, bitte vervollständigen Sie folgenden Satz für mich: Denk’ ich an Ostdeutschland in der Nacht …

(überlegt einige Sekunden) … bin ich nicht um den Schlaf gebracht.

Wirklich nicht?

Nein. Denn wir haben in den vergangenen 35 Jahren in Ostdeutschland schon viel erreicht. Und wenn ich »wir« sage, dann meine ich vor allem die Menschen, die die Wiedervereinigung aktiv miterlebt und gestaltet haben. Ich war damals zwei bis drei Jahre alt. Unsere Wirtschaft hat sich gut entwickelt, die Städte erstrahlen wieder in neuem Glanz, und auch unserer Umwelt geht es heute so viel besser als 1989, das darf man nicht vergessen.

Aber das ist ja nur die eine Seite des Ostens, oder?

Natürlich gibt es auch andere Themen, die mich stark beschäftigen. Zum Beispiel die Frage, wie wir ostdeutsche Industriearbeitsplätze erhalten, etwa im Bereich Automobil oder in der chemischen Industrie. Oder wie wir die Strukturunterschiede zwischen Ost und West weiter verringern, beim Einkommen, beim Vermögen oder beim Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen.

Auch der Umgang mit den Folgen des demografischen Wandels ist sehr wichtig. Viele der Menschen, die zu meinem Jahrgang gehören – ich bin 1987 geboren –, haben die Region verlassen, um im Westen Karriere zu machen. Sie haben hier keine Perspektive für sich gesehen. Diese Menschen fehlen uns jetzt, und das wird sich in Zukunft enorm auswirken auf unser Zusammenleben. Deshalb ist Rück- und Zuwanderung für die Zukunft unserer Region so wichtig.

Interview
Elisabeth Kaiser (SPD), Staatsministerin und Ostbeauftragte der ...

Nach dem Thüringer Sozialdemokraten Carsten Schneider ist seit einigen Monaten die Thüringer Sozialdemokratin Elisabeth Kaiser Ostbeauftragte der Bundesregierung. Im Interview erklärt Kaiser – die zur Wende noch ein Kleinkind war –, warum sie glaubt, dass Unterschiede zwischen Ost und West bleiben werden, und welche Bedeutung sie der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr beimisst.

Vor dem Hintergrund all dessen, was geschafft worden ist im Osten: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Stimmung in diesem Teil Deutschlands so schlecht ist?

Wir haben enorm herausfordernde Zeiten mit vielen Krisen und Konflikten um uns herum. All das wirkt sich natürlich auch auf die Menschen aus.

Aber diese Krisen und Konflikte spüren die Menschen in Westdeutschland doch auch.

Ja, aber die Resilienz – also die Widerstandsfähigkeit gegen derartige Krisen – ist hier eine andere. Die Ostdeutschen haben sich nach enormen Umbrüchen in den 90er Jahren einen gewissen Wohlstand erarbeitet. Trotz der Einschnitte in den Biografien und der Entwertungen von Abschlüssen und Qualifikationen. Jetzt ist die Sorge groß, das Erreichte ein weiteres Mal zu verlieren. Denn viele Familien in Ostdeutschland haben nur geringe Rücklagen. Und eben die Erinnerung an die harten, entbehrungsreichen Umbruchjahre. Deshalb sind die Ängste im Osten größer als im Westen. Hinzu kommt, dass Populisten diese Gefühle gezielt verstärken.

Sie streiten nun, wie alle ihre Amtsvorgänger, für eine größere Beachtung des Ostens in der gesamtdeutschen Wahrnehmung. Warum sollte das unter einem Kanzler Friedrich Merz, der aus dem Sauerland kommt, möglich sein, wenn es schon unter der Rekordkanzlerin Angela Merkel, die aus dem Osten stammt, nicht so richtig geklappt hat?

Zum einen hat sich Angela Merkel als Kanzlerin gar nicht so sehr als Ostdeutsche präsentiert. Erst zum Ende ihrer Kanzlerschaft hat sie sich des Themas stärker angenommen. Aus meiner Wahrnehmung hat sie sich zuerst als Kanzlerin für das gesamte Land verstanden. Was Bundeskanzler Friedrich Merz angeht: Bei meinen Gesprächen mit ihm habe ich schon den Eindruck, dass ihm die ostdeutschen Themen wichtig sind. Auch wenn die generelle wirtschaftliche Lage es nicht einfacher macht und wir bei der Verteilung der finanziellen Mittel Schwerpunkte setzen müssen. Und auch im Westen gibt es strukturschwache Regionen. Die haben wir natürlich auch im Blick.

Schauen wir noch auf die Zukunft des Ostens, auf zwei Landtagswahlen, die demnächst anstehen. In Sachsen-Anhalt dürfte die AfD nächstes Jahr die mit Abstand stärkste Kraft werden. Teile der CDU in Sachsen-Anhalt sind einer Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen dort nicht abgeneigt. Was glauben Sie, welche bundespolitischen Folgen diese Wahl haben wird?

Das liegt stark am Ergebnis. Und das steht erst am Wahltag um 18 Uhr fest. Ich bin auf jeden Fall dagegen, so zu tun, als habe die AfD diese Wahl schon gewonnen …

Aber das ist doch das Prinzip Hoffnung, das sich bei verschiedenen Landtagswahlen, gerade im Osten, zuletzt als unzulänglich erwiesen hat. Die Umfragewerte in Sachsen-Anhalt sind schon seit so langer Zeit so eindeutig, dass es fahrlässig wäre, davon auszugehen, dass es dort noch zu massiven Verschiebungen kommen könnte.

Das schließt ja aber nicht aus, dass die anderen Parteien mit einem harten Wahlkampf für Zustimmung zu ihrer Politik werben müssen. Es wird sich dann die Frage stellen, in welchen Koalitionen auch künftig demokratische Parteien in den Ländern zusammen regieren können und wollen. Da muss sich besonders die Union klar positionieren, was den Umgang mit der AfD, aber auch mit der Linkspartei betrifft.

Die AfD wird in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Für Sozialdemokraten kann es mit dieser Partei keine Zusammenarbeit geben. Diese Diskussionen beschäftigen uns auch auf Bundesebene. Da werden wir als SPD genau hinschauen, wie sich unser Koalitionspartner verhält.

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Und Thüringen 2029: Schafft es die SPD dann noch einmal über die Fünf-Prozent-Hürde?

Davon gehe ich fest aus. Wir als SPD schaffen Sicherheit, indem wir die Probleme nicht auf den Schultern der Schwächsten abladen. Wir kämpfen für Gerechtigkeit und einen starken Sozialstaat, auch in Zeiten der Krisen und der Umbrüche.

Das klingt alles sehr floskelhaft. Für Ihre Partei geht es in Thüringen seit vielen Jahren von Wahl zu Wahl in der Zustimmung steil bergab.

Wir werden diesen Trend nur aufhalten können, wenn wir wieder viel mehr in den Austausch mit den Menschen im Land gehen. Also weg von unseren parteiinternen Debatten über Personalfragen. Wir müssen raus auf die Straßen und Plätze und den Menschen unsere sehr guten inhaltlichen Angebote vorstellen, zeigen, wofür wir stehen.

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