Unter Beobachtung

Die Ukraine peilt die WM 2014 an, die Fans sind wie vor der EM 2012 ein Problem

Im Metalist-Stadion von Charkow kommt es heute in der WM-Qualifikation zum Duell der EM-Ausrichter von 2012. Die Fußballer der Ukraine empfangen Polen. Die Gastgeber der EURO 2012 können beide noch auf die Teilnahme an der Endrunde in Brasilien 2014 hoffen - ein Mutmacher, nachdem die EM eine Menge Ernüchterung hinterlassen hat.

Ein wenig wird die Erinnerung an den Fußballsommer 2012 heute in Charkow aufleben: Es herrscht erhöhte Sicherheitsstufe für das WM-Qualifikationsspiel der ukrainischen Nationalmannschaft gegen Polen - so wie es 2012 bei allen Spielen der EURO üblich gewesen war. Im Oktober 2013 sind aber vor allem die Einlasskontrolleure zu erhöhter Aufmerksamkeit aufgerufen. Denn mehr als Zusammenstöße von ukrainischen und polnischen Fans werden neuerliche nationalistische Entgleisungen der Ukraine-Anhänger befürchtet.

Keinesfalls sollen heute Abend in der 42 000-Zuschauer-Arena wieder rot-schwarze Fahnen geschwenkt werden - die Farben des Ultra-Nationalisten Stephan Bandera, der im zweiten Weltkrieg mit den mordenden Nazi-Deutschen paktierte, der bis heute aber vor allem in der Westukraine als eine Art Volksheld verehrt wird.

Gruppe H

Moldau - San Marino 18.00
Ukraine - Polen 20.00
England - Montenegro 21.00

1. England 8 25:3 16
2. Ukraine 8 19:4 15
3. Montenegro 8 15:8 15
4. Polen 8 18:9 13
5. Moldau 8 4:15 5
6. San Marino 8 1:43 0

Letzter Spieltag, 15.10.
England - Polen 21.00
San Marino - Ukraine 21.00
Montenegro - Moldau 21.00

»Es gibt leider Gerüchte, die besagen, dass wir in Charkow diese Fahnen sehen werden«, sagt Sportjournalist Denis Trubetzkoy, der für die Seite »UA-Football.com« aus Charkow berichten wird. »Einige Fans wollen damit zeigen, dass sie sich nicht von der FIFA unter Druck setzen lassen.«

Die Ukraine steht heute also unter besonderer Beobachtung durch die Disziplinarkommission des Fußballweltverbandes: Denn die FIFA hatte rechtsradikale Entgleisungen der Fans beim WM-Qualifikationsspiel in Lwiw gegen San Marino am 6. September 2012 ursprünglich mit zwei Spielen vor leeren Rängen sanktioniert. Zusätzlich wurden WM-Qualifikationsspiele in Lwiw bis 2018 untersagt. Doch eine Berufung des ukrainischen Verbandes verhinderte, dass aus dem wichtigen Match gegen Polen heute ein Geisterspiel wurde. »Die FIFA kann nicht 47 Millionen Ukrainer für das Tun von drei Idioten bestrafen«, sagte Sergii Storosenko, Vizepräsident des Verbandes, zur Begründung des Einspruchs.

Der Einspruch hatte aufschiebende Wirkung, die FIFA wird später abschließend entscheiden: Statt gähnend leer wird das Stadion in Charkow ausverkauft sein. Die sportlichen Aussichten sind gut, mit Siegen gegen Polen und San Marino wäre die Mannschaft um Anatoliy Tymoschuk mindestens Gruppenzweiter, was die Teilnahme an der Relegation bedeuten würde.

Sollte England heute gegen die starken Montenegriner oder am letzten Spieltag gegen Polen patzen, ist sogar noch der Gruppensieg und damit die direkte Qualifikation für Brasilien 2014 möglich. Im März begeisterten die Ukrainer in Warschau mit einem überragenden 3:1-Sieg gegen Polen, gegen England gelang zuletzt ein 0:0 in Kiew, nachdem schon im Hinspiel in London ein 1:1 geglückt war. Eine WM-Teilnahme wäre womöglich ein Trost für die fußballverrückten Ukrainer, die das enttäuschende Auftreten der Ukraine bei der Heim-EM nur schwer verkrafteten, als nicht mal das Viertelfinale erreicht wurde.

In Sachen EM herrscht im zweitgrößten Flächenstaat Europas eh Ernüchterung. Außer drei funktionierenden Stadien in Donezk, Charkow und Kiew und ein paar neuen Schnellstraßen ist wenig vom EM-Erbe übrig geblieben. Die teuren Hyundai-Superschnellzüge fallen im kalten ukrainischen Winter regelmäßig aus. Und wenn sie funktionieren, bleiben sie leer, weil sich kaum jemand die Fahrt leisten kann. Das EM-Stadion von Lwiw in der Westukraine ist zum Symbol gescheiterter Nachhaltigkeit wie auch nationalistischer Anwandlungen geworden. Der ortsansässige Klub Karpaty spielt wegen vermeintlich zu hoher Mietforderungen der Stadt im alten Stadion, die neue Arena verödet derweil am Stadtrand.

Jüngst bereitete Karpaty Lwiw seinen als stramm rechts geltenden Fans eine besondere Freude: Der Verein verkündete, auswärts künftig in den Bandera-Farben Rot und Schwarz aufzulaufen. »Ehre den Helden«, teilte Karpaty dazu auf seiner Homepage mit: »Unser Klub wird sich niemals und unter keinen Umständen von dem lossagen, worauf unsere Väter und Großväter stolz waren!«

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