Gegen das Faustrecht im Fanblock
Viele Vereine lassen gerade jene Fans alleine, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Homophobie stellen
Wie politisch wollen Fußballfans sein? Wie politisch dürfen Fußballfans sein? Zwischen diesen Fragen bewegen sich die größten Herausforderungen der Ultra-Kultur. Leidvoll erfahren mussten das zuletzt junge Duisburger, die der Gruppe »Kohorte« angehören. Sie unterstützen ihren MSV Duisburg wie tausende andere Anhänger. Der Unterschied: Sie positionieren sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Homophobie. Doch es gibt Fans, die sehen darin eine unverzeihliche Provokation.
Vor gut einer Woche griffen dreißig Schläger die studentisch geprägte Kohorte an. Die Angreifer waren ebenfalls Fans des MSV Duisburg, doch sie wünschen sich einen »Fußball ohne Politik«. Mit anderen Worten: sie dulden kein zivilgesellschaftliches Engagement, wenn es um ihren Verein geht, ihre Heimat, ihren Lokalpatriotismus. Zu den Angreifern gehörten laut Augenzeugen Hooligans der Gruppe »Division« und befreundete Neonazis aus Dortmund. Die Polizei verhinderte, dass es schwerere Verletzungen gab als einen Rippenanbruch und blutige Lippen.
Die Attacke ist ein weiteres Kapitel eines vereinsübergreifenden Konflikts, der sich seit vier, fünf Jahren festsetzt. »Wir beobachten einen Schwenk nach rechts in mindestens zehn Fanszenen, auf ganz unterschiedlichem Niveau«, sagt der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski von der Universität Hannover. Dembowski, der seit zwanzig Jahren die Fankultur erforscht, hält den Wandel in der Öffentlichkeit für stark unterschätzt. Die Konflikte eskalieren oft außerhalb der Stadien, fernab von Kameras.
Die Ultra-Kultur, die Anfang der neunziger Jahre aus Italien nach Deutschland kam, hat ihre ersten Generationenwechsel hinter sich. Gruppen derselben Vereine streiten über Modernisierung: Wie melodisch sollen Gesänge sein? Wie kritisch die Choreografien? Wie pointiert die Abneigung gegenüber dem Gegner? In zahlreichen Fanszenen führt diese Diskussion zu Spaltungen, Freunde werden zu Feinden. Doch der größte Konfliktpunkt entzündet sich am politischen Selbstverständnis.
In Aachen wurden junge Ultras, die Veranstaltungen gegen Diskriminierung organisiert haben, so lange von Neonazis bedroht und geschlagen, bis sie sich entmutigt aus dem Stadion zurückzogen. In Braunschweig hat eine antirassistische Gruppe Verstrickungen zwischen der Fanszene und Neonazis in einer Broschüre nachgewiesen. Auch sie wurde von Nazis attackiert. In vielen Städten waren zivilcouragierte Ultras Anfeindungen ausgesetzt: in Essen, Leipzig oder Dresden, in Rostock, Dortmund oder Bremen. In den meisten Fällen können die unwissenden und unbeteiligten Publikumsmehrheiten in den Stadien nicht zwischen Opfern und Tätern unterschieden, sie vermuten eine Fußnote der Fankultur, fühlen sich von »Scharmützeln« belästigt. Sie sehen nicht das, was es ist: ein rechts motivierter Eroberungsversuch der vielleicht öffentlichkeitswirksamsten Spielwiese der Gesellschaft, des Fußballs. »Leider werden Ultras, die sich für eine bunte Kurve einsetzen, von Funktionären oft als Linksextreme dämonisiert«, sagt Gerd Dembowski. »Aber diese jungen Menschen sind weder Stalinisten noch Maoisten. Sie treten für gesellschaftliche Mindeststandards ein.«
Die Ausdifferenzierung in der Ultra-Bewegung fällt in eine Zeit, in der Gewalt und Pyrotechnik lange an der Spitze der Agenda standen. Vor einem Jahr diskutierten Talkshows und Task Forces, ob der Stadionbesuch sicher ist. Im neuen Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga wurden Maßnahmen gegen Rechts nur am Rande erwähnt. Die Fanszenen wollten für ihre Proteste gegen die »Kriminalisierung der Ultras« ein breites Bündnis schmieden. So durften auch Gruppen mitmischen, deren Ausdifferenzierung ins rechte Spektrum neigt, zum Beispiel die Karlsbande aus Aachen. »In diesem Klima des Populismus sind viele selbstkritische Dialoge der Ultras verloren gegangen«, sagt der Politikwissenschaftler Jonas Gabler, der die Ultra-Kultur in mehren Büchern beschrieben hat. Auch dieser Populismus habe Fans angelockt, die schlichte Lösungen bevorzugen. An mehren Standorten beanspruchen Hooligans wieder ihren verloren geglaubten Platz: die »Rotfront« in Kaiserslautern, die »Borussenfront« in Dortmund, die »Standarte« in Bremen. Nicht alle ihrer Mitglieder haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, doch ihre Einstellungen fördern antidemokratisches Bewusstsein: Männlichkeitskult, Überlegenheitsdenken, Chauvinismus. Jonas Gabler: »Hooligans mit ihrem Faustrecht stehen oft am Ende der Nahrungskette. Manchmal verbieten sie den Ultras das Engagement gegen Rechts.«
In einer Mitteilung positionierte sich der MSV Duisburg gegen Diskriminierung jeder Art und schränkte ein: eine »politische Motivation scheint in diesem Fall nicht vorrangig vorzuliegen«. Von Fanvertretern und Funktionären des MSV sind Relativierungen zu hören, die schon in Aachen oder Braunschweig zu hören waren: Die Mehrheit wolle keine Politik im Stadion, es handele sich um Einzeltäter. Sieht so der Schutz von jungen Menschen aus, die sich im Namen ihres Klubs für das Gemeinwohl einsetzen? Bei der zweiten Mannschaft des VfB Stuttgart am Samstag (1:1) standen »Kohorte« und »Division«, Opfer und Täter, räumlich von einander getrennt, die Lage blieb ruhig.
Die Floskeln der Funktionäre könnten auch andere Kräfte anziehen: Im Februar wandte sich zum Beispiel die NPD in Thüringen mit einem Schreiben an die Fanklubs der Drittligisten FC Carl Zeiss Jena und FC Rot-Weiß Erfurt. Der Titel des Papiers: »Sport frei! Politik raus aus dem Stadion.«
Philipp Markhardt, Sprecher des bundesweiten Fan-Bündnisses Pro Fans, fordert daher: »Der Verein darf die Fans nicht allein lassen, denn Fans können nicht das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Es gibt nicht einen einzigen Verein, der in Absprache mit den Fans konsequent einen Kurs gegen Rassismus fährt.«
Im Januar findet in Berlin der nächste Fankongress statt. Dort ist die Frage zu stellen: Wie politisch müssen Fans sein, damit andere Fans nicht um ihre Gesundheit fürchten brauchen?
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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