Deutsche Justiz in der Bredouille

Kunstfund in München

  • Roland Mischke
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Augsburger Chefermittler Reinhard Nemetz wollte witzig sein. Was soll mit den 1406 Bildern berühmter Maler geschehen, die in einer verwahrlosten Münchener Wohnung gefunden wurden, wurde er gefragt. Die lachende Antwort des Oberstaatsanwalts: »Die sollen nicht in meinem Büro aufgehängt werden.« Viel zu lachen hat Nemetz momentan aber nicht. Denn inzwischen ist die Justiz in Bedrängnis geraten. Alles sei »sehr aufwendig, schwer und komplex«, klagt Nemetz. Und die ihm assistierende Berliner Kunstexpertin Meike Hoffmann, die man nach der Razzia in der Wohnung von Cornelius Gurlitt im Februar 2012 erkennungsdienstlich tätig werden ließ, stimmt in das Klagelied ein. Nur wenig sei bisher zuzuordnen, von manchem Bild werde man womöglich nie erfahren, wem es gehört hat. Auch zu dem vom »Focus« genannten Schätzwert von 1 Milliarde Euro sagt sie nichts.

Die Einsicht in die 1406 Werke war bisher nur einem kleinen Kreis vorbehalten. Es geht aber um NS-Unrecht. Die beste Lösung wäre totale Transparenz. Den Medien sollte ein Verzeichnis aller Einzelfunde übergeben werden. Ein richtiger Coup wäre ein Museum des Nazi-Kunstraubs, in dem diese und andere wieder gefundene Werke öffentlich gezeigt werden. Sie wurden überwiegend jüdischen Sammlern und Museen weggenommen, weil die Nazi-Ideologie die Klassische Moderne als »entartete Kunst« auffasste. Immerhin handelt es sich bei den Werken von Künstlern wie Paul Klee, Max Liebermann, Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall oder Franz Marc. um »echte Entdeckungen«, wie Kunsthistorikerin Hoffmann sagt. Und sogar Bilder sind dabei, die noch nie zu sehen waren, weil man von ihrer Existenz nichts wusste. So ein großflächiges unbekanntes Selbstbildnis von Otto Dix, das Gemälde »Zwei Reiter am Strand« von Max Liebermann und eine Gouache von Marc Chagall.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland meldet sich mit einer Forderung. Ihr Präsident Dieter Graumann sagte der »Passauer Neuen Presse«: »Spekulationen helfen hier nicht weiter. Wichtig sind jetzt Transparenz und ein zügiges Verfahren. Schließlich geht es hier um Erben einstmals beraubter jüdischer Sammler, die nun späte Gerechtigkeit erfahren könnten, indem das Hab und Gut ihrer Familie wieder in ihren, den rechtmäßigen Besitz, kommt.« Auch eine sehr späte Gerechtigkeit wäre noch eine Gerechtigkeit. »Wer etwas vermisst, sollte sich melden«, hatte Chefermittler Nemetz in Richtung Erbanspruchspersonen gesagt.

Die Behörden fürchten eine Flut von Besitzansprüchen, die ihre Arbeit noch schwieriger macht. Denn die deutsche Justiz ist in der Bredouille. 1937 gab Hitler seinem Propagandaminister Goebbels den Auftrag, »entartete Kunst« einzusammeln. Einer der stärksten Häscher dieser Aktion war Hildebrand Gurlitt, der 1956 verstorbene Vater von Cornelius, der seither den Schatz hortet und sich daraus bediente. 1938 erließen die Nazis ein Beschlagnahmegesetz, das nach dem Krieg nicht aufgehoben wurde und bis heute rechtsgültig ist. Denn es handelte sich, völkerrechtlich gesehen, um den hoheitlichen Akt eines souveränen Staates. Alliierte und die Justiz der jungen Bundesrepublik ließen das Gesetz unangetastet. Jetzt wird es zum Bumerang. Meike Hoffmann erklärte nüchtern: »Entartete Kunst ist nicht rückgabepflichtig.«

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