Wenig Hang zu Kompromissen

Irmgard Schwaetzer ist Präses der EKD-Synode, gilt aber immer noch als Politikerin

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war eine handfeste Überraschung. Nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern offensichtlich auch für Irmgard Schwaetzer selbst. Schließlich galt Bayerns früherer Ministerpräsident Günther Beckstein als gesetzt für den Posten des Präses der EKD-Synode. Den hatte Katrin Göring-Eckardt erst kürzlich niedergelegt, um sich diversen Aufräumarbeiten bei den Grünen als Fraktionschefin zu widmen. Nachdem der CSU-Veteran und seine Gegenkandidatin Brigitte Böhme aus Bremen, aber gleich zweimal nicht die erforderliche Mehrheit für das höchste Laienamt der evangelischen Kirche erreichten und zurückzogen, schlug die Stunde der Kompromisskandidatin.

Die 71-Jährige ehemalige FDP-Funktionärin, die vor allem mit ihrem vorübergehenden Doppelnamen Adam-Schwaetzer bekanntgeworden war, ist zwar länger schon Vorsitzende des Gemeindekirchenrates im Berliner Dom, wird aber offensichtlich immer noch überwiegend als Ex-Politikerin wahrgenommen. Und das scheint manchem in ihrer Kirche tüchtig zu stinken. »Werft die Politiker aus den führenden Positionen. Ist die Kirche Beute der Politklasse?«, lautete kurz nach Schwaetzers Wahl zur Vorsitzenden des Kirchenparlaments einer der Kommentare im Netz.

Der wäre freilich auch nach Becksteins Wahl geschrieben worden, könnte sich die promovierte Apothekerin entspannt zurücklehnen. Ein anderer User ließ allerdings keine Doppeldeutigkeiten zu: »Das ist genau die Richtige für die ev. Kirche: Eine neoliberale FDP-Politikerin, die sich eher in Kreisen des BDI und BDA auskennt als mit den Sorgen der armen und gebeutelten Protestanten«, schrieb er erbost.

Andere indes waren sichtlich erfreut. Verständlicherweise insbesondere in der gerupften FDP. Wolfgang Gerhard, der Schwaetzer aus noch besseren liberalen Zeiten kennt, gehörte zu den ersten Gratulanten. Er, der am Wahlabend nach dem FDP-Desaster und dem zeitgleichen Abtauchen der blau-gelben Boygroup und des alternden Spitzenkandidaten die Fahne der Liberalen vor allen Kameras hochzuhalten versuchte, spielt derzeit offenbar des Öfteren den Lückenfüller. Dabei sind die noch amtierenden, aber fraktionslosen Minister Westerwelle, Rösler und Bahr mit dem heutigen Chef der Friedrich-Naumann-Stiftung einst nicht unbedingt zartfühlend umgegangenen.

Doch so stolz die versprengten Liberalen auch auf Schwaetzer sein mögen - ob die Frau, der Helmut Kohl nach den Koalitionsverhandlungen 1987 bescheinigte, »knallhart« zu sein und die Norbert Blüm gar »eiskalt« nannte, ihnen lange Freude bereiten wird, muss sich zeigen. Hat nicht erst kürzlich mit Christian Lindner der künftige FDP-Vorsitzende eine umfassende Reform des Verhältnisses von Staat und Kirche gefordert und die über 200 Jahre alten Staatsleistungen an die Kirchen für überholt erklärt? Lindner macht sich nicht zum ersten Mal für die stärkere Trennung von Staat und Kirche stark - und befindet sich zumindest damit in der guten Tradition des wirklichen Liberalismus, der bekanntlich in der neoliberalen FDP kaum noch Platz hat.


»Das ist genau die Richtige für die evangelische Kirche: Eine neoliberale FDP-Politikerin, die sich eher in Kreisen des BDI und BDA auskennt als mit den Sorgen der armen und gebeutelten Protestanten.«


Daran hat auch Irmgard Schwaetzer ihren Anteil. Nicht umsonst soll die Westfälin, die heute in Berlin lebt, früher hinter vorgehaltener Hand mitunter Adam-Thatcher genannt worden sein. Besonders, nachdem sie von der Staatsministerin am Auswärtigen Amt 1991 als Chefin ins Bundesbauministerium wechselte. Es war die Zeit, als insbesondere im Osten des einig Vaterlandes die Mieten binnen Kurzem in die Höhe schnellten und inzwischen nie mehr erreichte Mieterproteste das Land erschütterten. Legendär wurde ihr wutschnaubender vorzeitiger Abgang beim Mietertag in Potsdam im Juni 1993, auf dem sie von den Mietervertretern mit Buh-Rufen und Pfiffen begrüßt worden war und DMB-Präsident Gerhard Jahn ihre unsoziale Wohnungspolitik kritisierte.

Vielleicht hat der wenig souveräne Umgang mit diversen Scharmützeln dazu beigetragen, dass die frühere Generalsekretärin der FDP 1988 bei einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz dem kurz zuvor verurteilten Steuerhinterzieher Otto Graf Lambsdorff unterlag und nach dem Rücktritt von Hans-Dietrich Genscher als Bundesaußenminister aus ihrer schon sicher gewähnten Kandidatur für die Spitze im Auswärtigen Amt im letzten Moment doch nichts wurde. Dass sie aus Ärger um die Intrigen der Männer in ihrer Partei den damaligen FDP-Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann als »intrigantes Schwein« bezeichnet hatte, wird Schwaetzer wohl ewig anhängen.

Womöglich können die Protestanten über solche Ausbrüche hinwegsehen. Vielleicht hat das Alter inzwischen die neue Synoden-Vorsitzende mit Milde ausgestattet. Jedenfalls hat sie neben den jetzt doch noch erworbenen Meriten auch einen Sack voll Probleme mitbekommen, die mal das eine und mal das andere verlangen werden. Schließlich ist sie nicht nur mit persönlichen Vorbehalten konfrontiert, weil Schwaetzer zweimal geschieden ist, sondern hat sich bereits im gegenwärtig tobenden Streit über ein Familienpapier der EKD positioniert, das neben der klassischen Familie auch andere Formen des Zusammenlebens zu »von Gott angenommen« erklärt. Zudem wird sie mit Mitgliederschwund und Personalproblemen konfrontiert. Erklärtermaßen will sie mehr Einfluss und Wertschätzung für Laien in der Kirche erreichen sowie für eine andere Flüchtlingspolitik und gegen religiöse Intoleranz streiten.

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