Sprengstoff im Briefkasten
Streit um Kohle wird schmutziger: In der Lausitz häufen sich Angriffe auf Tagebaugegner
Zuerst wurde Farbe auf ein Transparent geschmiert. »Unsere Dörfer sind zu schade zum Verheizen«, steht auf dem Banner in Rohne, einem Dorf in der Lausitz, das wie einige Nachbarorte einer Erweiterung des Tagebaus Nochten zum Opfer zu fallen droht. 1600 Menschen würden ihre Heimat verlieren. Etliche protestieren, unter anderem mit dem Plakat. Andere halten solche Kritik für schädlich - und lassen ihren Ärger darüber auch an dem Banner aus. Seit Oktober wurde es mehrfach beschädigt; so wurden die stählernen Halteseile gekappt.
Für das Bündnis »Strukturwandel jetzt - kein Nochten II« ist das ärgerlich: Die Reparatur ist teuer, und die Initiative lebt nur von Spenden. Allerdings sehen sich die Tagebaugegner auch deutlich handfesteren Drohungen ausgesetzt. Bereits dreimal wurde der Briefkasten zweier engagierter Familien gesprengt, zuletzt am 2. Dezember. Die Teile wurden etliche Meter weit auf eine stark befahrene Straße geschleudert. Die Wucht des letzten Anschlags könne nicht von handelsüblichen Feuerwerkskörpern ausgegangen sein, glaubt Adrian Rinnert, Sprecher des Bündnisses: »Eine Steigerung ist deutlich zu erkennen.« Beim Bündnis beschuldigt man eine »radikale Gruppe«, die die Abbaggerung »erzwingen« wolle. Tatsächlich ist unklar, wer hinter den Angriffen steht. Wegen der nach Ansicht des Bündnisses »mittlerweile unzweifelhaften« politischen Motivation ermittelt inzwischen der Staatsschutz.
Für die Befürworter der Kohleförderung ist das im vergangenen März gegründete Bündnis offenkundig unbequem. Wurde zuvor nur vereinzelt Unmut über die Pläne zur Tagebauerweiterung geäußert, gab es seither regelmäßig Proteste. Bei Beratungen des Braunkohlenplans, der die rechtliche Grundlage für die Abbaggerung schafft, wurden Mahnwachen organisiert; es gab Petitionen wie eine im November im sächsischen Landtag abgegebene Sammlung mit 2200 Unterschriften. Zudem organisierte man Informationsveranstaltungen mit Experten, die der Notwendigkeit einer noch lange anhaltenden Kohleförderung in der Lausitz widersprachen.
Das passt längst nicht allen in der Lausitz: Die Kohle sorgt in der Region für Arbeitsplätze; zudem ist der Energiekonzern Vattenfall als potenter Förderer bekannt. Welche Ressourcen die Kohlebefürworter nutzen können, zeigt sich an vielen Details. Sie warben mit Postwurfsendungen und in großen Anzeigen nicht nur in Zeitungen, sondern nach Bündnisangaben auch in Behörden, während dort Planungsunterlagen für den Tagebau zur Einsicht lagen.
Zum finanziellen Ungleichgewicht kommt eine Auseinandersetzung, die immer öfter unsachlich geführt werde, klagt man beim Bündnis. So diffamierte Wolfgang Rupieper, der Chef des Vereins »Pro Lausitzer Braunkohle«, Kritiker in einem Inserat als »Ökotouristen« - ein Vorwurf, gegen den sich in einem offenen Brief jetzt Initiativen wie die 1987 in Cottbus gegründete Umweltgruppe verwahren. Sie merken zudem an, dass Klimafolgen der Kohle nicht nur die Lausitz träfen, weshalb Einspruch von außerhalb der Region legitim sei. Rupieper, der aus Bochum stammt, wird in dem Brief »energiepolitische Fremdenfeindlichkeit« vorgeworfen.
Zudem macht der Brief, den auch Brandenburger Kommunal- und Landespolitiker von LINKE, Grünen und CDU unterzeichneten, die Eskalationsstrategie der Kohlelobby für die jüngsten Anschläge zumindest indirekt mitverantwortlich. Es sei »gefährlich, über Monate hinweg Vorurteile zu schüren«, heißt es. Der Brief mahnt daher zu verbaler Abrüstung. Anderenfalls, befürchtet Friederike Böttcher vom Bündnis, sei es »nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Menschen zu Schaden kommen«.
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