Weihnachten im Flutcontainer

Fischbeck in Sachsen-Anhalt machte im Sommer 2013 Schlagzeilen - noch immer sind viele Häuser unbewohnbar

  • Dörthe Hein, Fischbeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Deichbruch von Fischbeck setzte eine ganze Region unter Wasser - das Dorf in Sachsen-Anhalt steht für die Flut 2013. Auch sechs Monate später ist die Normalität fern. Wie feiert man da Weihnachten?

Die Gänsekeulen für das Weihnachtsessen hat Engelgard Lüdtke schon gekauft. »Nur wie ich sie zubereiten soll, weiß ich noch nicht.« Der Blick der 73-Jährigen schweift durch den Wohncontainer und bleibt an der Single-Küche hängen. Das Elbe-Hochwasser im Juni, das den Deich bei Fischbeck (Sachsen-Anhalt) brechen ließ, hat Lüdtke das Zuhause geraubt.

Noch immer ist es unbewohnbar wie vieles hier in dem Ort, der für das Hochwasser vom Sommer dieses Jahres steht. Erst als damals drei Lastkähne spektakulär gesprengt wurden, war der Durchfluss gestoppt. Die Seniorin verbringt Weihnachten im Container, auf etwa 2,30 mal 6 Metern. Die Möbel kommen aus dem Spendenlager. Ein Weihnachtsbaum? »Ich weiß ja nicht mal, wo ich den Baum hinstellen soll«, sagt die ehemalige Erzieherin.

»Die Hälfte der Betroffenen ist Weihnachten noch nicht wieder drin in ihren Häusern«, schätzt der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land, Bernd Witt. Nur wenige leben in den Containern, die das Rote Kreuz angeboten hat. Viele sind bei Verwandten und Bekannten untergekommen oder in Wohnungen, die zur Verfügung gestellt wurden. Im Elbe-Havel-Winkel war eine Fläche von etwa 70 mal 30 Kilometern geflutet. Rund 800 Hauseigentümer sind laut Witt betroffen. Das Wasser brauchte Wochen, bis es abgeflossen war.

80 Zentimeter hoch stand die stinkende Brühe in Karin Standkes Haus in der Mitte Fischbecks. Nichts war mehr zu gebrauchen. Es blieb ihr nur, alles auf den Müll zu tragen. Heute hat die 73-Jährige wieder einmal Handwerker im Haus - ein Glücksfall, denn meistens wartet man in Fischbeck auf Installateure, Fliesenleger oder Schreiner. »Ich bin etwas niedergeschlagen, weil es alles nichts wird«, sagt die alleinstehende Frau. Weihnachten wollte sie soweit fertig sein, dass sie ihre Kinder und Enkel empfangen kann, die extra Urlaub genommen haben. Tatsächlich ist von den Handwerkern alles staubig. Türrahmen fehlen, das Bad hat nicht einmal Fliesen.

Der ehrenamtliche Bürgermeister von Wust-Fischbeck, Bodo Ladwig, ist der Dreh- und Angelpunkt in dem 420-Einwohner-Dorf Fischbeck. Neben seinem Vollzeitjob in der Milchviehanlage im Ort baut er auch sein eigenes Haus wieder auf. Er weiß, wo den Fischbeckern der Schuh drückt. Das ist vor allem das Geld. Von unbürokratischer Hilfe, die Politiker am Anfang bei ihren Besuchen versprochen hätten, sei nichts zu spüren. »Vom sechsseitigen Antrag der Investitionsbank ist der Normalbürger überfordert.« 90 Prozent der Anträge seien falsch oder unvollständig ausgefüllt.

Für die Einwohner von Fischbeck sei der Albtraum noch längst nicht vorbei: Mindestens zwölf Häuser im Dorf müssen abgerissen werden, sagt Ladwig. »Es können jeden Tag mehr werden.« Risse, Setzungen und andere Schäden tauchten erst später auf.

Engelgard Lüdtke hofft, dass bald die Handwerker kommen und sie in ihre eigenen vier Wände zurückkehren kann. Zwar steht ihr der Wohncontainer ein halbes Jahr lang zur Verfügung. Aber die 73-Jährige glaubt, es nicht so lang auszuhalten. »Man ist hier eingesperrt.« Ihren Humor hat sie trotz allem nicht verloren. »Hier brauche ich keine Gardinen waschen und Fenster putzen.« dpa/nd

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