Der weiße Hai, wie er wirklich war

Der Roman von Peter Benchley, die Krise der 70er, Badestrände und der Horror aus der Tiefe

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Geschichte vom weißen Hai kennt jeder. Steven Spielbergs Film von 1975 ist heute ein Klassiker des Hollywood-Kinos. Weniger bekannt ist, dass die Romanvorlage von Peter Benchley aus dem Jahr 1974 bereits ein großer Erfolg war und 44 Wochen lang auf der Bestsellerliste der »New York Times« stand. Hierzulande war der Roman lange vergriffen, nun liegt das Buch in einer deutschen Neuübersetzung vor und enthält im Anhang einen Brief des Autors an die Hollywood-Produzenten, in dem er sich über die Verfilmung seines Romans beschwert. Denn zwischen der literarischen Vorlage und ihrer filmischen Umsetzung liegen Welten.

»Der weiße Hai« von Peter Benchley ist ein gesellschaftskritischer Roman ganz im Stil der 70er Jahre. Der Hauptkonflikt der Geschichte spielt sich zwischen dem Polizeichef Brody und dem Bürgermeister des Badeortes Amity ab. Denn die Sperrung der Strände nach dem Auftauchen des weißen Killerhais droht für die Gemeinde, die von ihren betuchten Sommergästen aus New York lebt, zu einem wirtschaftlichen Desaster zu werden.

Dabei ist in dem Roman eh schon ständig von einer wirtschaftlichen Rezession die Rede, schließlich ist die Geschichte kurz nach der ersten Ölkrise und dem Ende der automatischen Dollarbindung für verschiedene Währungen angesiedelt, also genau an jenem markanten Einschnitt, der gemeinhin als die Krise des fordistischen Wirtschaftssystems gilt. Der schon fast verlorene Vietnamkrieg spiegelt sich in der Zusammensetzung von Amitys Polizeiwache wieder, wo vornehmlich Kriegsveteranen Dienst tun. Und die Revolte der 68er ist als Hintergrundrauschen ebenso präsent, denn immer wieder geht es um illegalen Drogenkonsum und um jugendlichen Vandalismus.

Das Auftauchen des Hais, der plötzlich aus der Tiefe emporschießt und Menschen in Stücke reißt, ist der allegorische Kulminationspunkt einer Krisenerzählung. Während im Film die kollektive Panik und die Jagd nach dem überdimensionierten, Tod bringenden Untier in Szene gesetzt wird, erzählt der Roman vor allem von den mafiösen Verstrickungen des Bürgermeisters in Immobiliengeschäfte und davon, wie korrupte Politiker versuchen, die Krise herunterzuspielen. Es geht ganz einfach um viel Geld, der Bürgermeister droht sogar von der Mafia umgebracht zu werden, wenn die Strände gesperrt werden. Polizeichef Brody verkörpert dagegen den moralisch integren Mann, der gegen Korruption und Machtmissbrauch kämpft. Im Film wird dieser Konflikt nur minimal angedeutet. Mafiöse Immobiliengeschäfte gibt es gar nicht.

Einen weiterer Unterschied zwischen Buch und Film sind die klassenspezifischen Gegensätze zwischen den bessergestellten Badegästen aus der Großstadt und den kleinen Leuten aus dem Küstenort. Dieser Konflikt spitzt sich in der Dreiecksgeschichte zwischen Polizeichef Brody, seiner Ehefrau Ellen und dem Meeresbiologen Hooper zu. Ellen kommt selbst aus besseren Kreisen, hat regelmäßig ihre Sommer an der Küste verbracht und ihre Urlaubsliebe Brody geheiratet. Jeden Sommer, wenn ihre früheren Upper-Class-Freundinnen mit ihren schicken und reichen Ehemännern zum Urlaub nach Amity kommen, wird ihr der eigene soziale Abstieg schmerzlich bewusst.

Als der Meeresbiologe Hooper, ausgerechnet der Bruder von einer Jugendliebe Ellens, auftaucht, um bei der Jagd auf den Hai zu helfen, beginnt sie mit ihm eine wilde Affäre. Später bei der Jagd auf den Hai droht das Eifersuchtsdrama zwischen Brody und Hooper zu eskalieren. Im Buch kommt Hooper um, im Film überlebt er. Ein Eifersuchtsdrama gibt es bei Spielberg nicht, Brodys Frau spielt im Film eine unwichtige Nebenrolle.

Worüber Peter Benchley sich in seinem Brief an die Hollywood-Produzenten vor allem beschwerte, ist die Darstellung des Hais. Denn im Roman ist das Tier kein böses Wesen, es reagiert ganz einfach auf Umweltreize und handelt instinktiv. Spielbergs Film »entwertet (…) eines der zentralen Horror-Elemente der Story«, denn »in der Normalität des Tötens liegt das enorme Schreckenspotenzial«, schrieb Benchley. Er bezeichnete das »Konzept vom bösartigen Hai«, das Dreh- und Angelpunkt des Films ist, als »irrwitzige Farce«.

Benchley, der passionierter Haiexperte war, hatte Angst, »dass die Zuschauer den Film lächerlich finden«. Damit lag er natürlich nicht richtig. Die minimalistische Kammerspielatmosphäre des Films, vor allem auf dem Schiff während der Jagd auf den Hai, benötigte genau dieses realitätsferne Horrorsubjekt. Und verblüffend ist, dass der Film trotz der für heutige Verhältnisse geradezu lächerlichen Tricktechnik immer noch schockierend ist, nicht zuletzt wegen der genialen Filmmusik, für die es dann auch einen Oscar gab.

Die literarische Vorlage führt aber jenseits der Lust am Grauen auf den eigentlichen Ursprung der Erzählung zurück. Es geht um eine existenzielle ökonomische Krise und insofern ist Benchleys Roman 40 Jahre nach seinem ursprünglichen Erscheinen überraschend aktuell.

Peter Benchley: Der weiße Hai. Roman. Übersetzt von Vanessa Wieser. Milena-Verlag, 270 S., geb., 23.90 €.

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