Wovor schützt eine Schutzgebühr?

Die Bundesstiftung Aufarbeitung gibt mit einer neuen Ausstellung den Auftakt für das Erinnerungsjahr 2014

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet die tapfer gegen den Kommunismus kämpfende und vor diesem nimmermüde warnende Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur sich bei der Titelwahl für ihre neue Ausstellung bei einem Mann bediente, der sich zeitlebens von seinem Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei nicht trennte - beim 2012 verstorbenen britischen Universalhistoriker Eric Hobsbawm. Er hatte das auf das »lange 19. Jahrhunderts« folgende »kurze 20. Jahrhundert« als ein Zeitalter der Extreme charakterisiert. In seinem gleichnamigen Werk verglich er die russische Oktoberrevolution 1917 mit der Großen Französischen von 1789, betonte jedoch, dass jene »ein sehr viel stärkeres und globaleres Echo als ihre Vorgängerin« hatte.

In der Ausstellung der Stiftung wird die »zur Oktoberrevolution verklärte Machtübernahme der Kommunisten in Russland« zwar - neben dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg - als »epochaler Einschnitt« erkannt, deren Folgen und Ergebnisse jedoch auf Millionen Hungertote in Sowjetrussland sowie Stalinsches Terrorregime reduziert. Warum die russische Revolution dereinst eine solch phänomenale Ausstrahlung auf die Arbeiterbewegung im Westen und antikoloniale Befreiungsbewegungen im Süden, ja auch auf bürgerliche Intellektuelle hatte, bleibt da schleierhaft.

Die Ausstellung beginnt mit der »Urkatastrophe«, wie der US-Diplomat George Kennan den Ersten Weltkrieg nannte. Ein derzeit inflationär gebrauchtes Wort, das gewiss seine Berechtigung hat, jedoch unterschwellig suggeriert, das erste industrielle Abschlachten von Millionen Menschen mit Maschinengewehren, Granaten und Bomben, Flammenwerfern und Giftgas sei über die Völker Europas wie eine Naturgewalt hereingebrochen. Dass dem nicht so war, wissen die Autoren der Ausstellung. Sie erinnern an Deutschlands Streben nach Vorherrschaft in Kontinentaleuropa und umfangreichen Annexionen vor allem im Osten. Historisch korrekt wird zudem vermerkt: »Aber auch die anderen europäischen Großmächte verbanden mit dem Krieg imperiale Machtinteressen.«

Dann aber betreten die USA die europäische Bühne und ein »Freiheitskampf« beginnt, dem sich ab März 1917 zunächst auch Russland anzuschließen schien - wenn denn nicht »die liberale Übergangsregierung von den kommunistischen Bolschewiki in einem Staatsstreich entmachtet« worden wäre. Ja, ja, die bösen Bolschewiki haben die Absicht von Kerenski, Kornilow & Co., den Krieg trotz Kriegsmüdigkeit der Massen fortzusetzen, schnöde vereitelt und - gewiss aus reiner Demagogie - als erstes ein »Dekret über den Frieden« erlassen. Dass es überbordende Friedenssehnsucht war, die auch in Deutschland zu einer Revolution führte, die dann jedoch von den Führern der deutschen Sozialdemokratie mit Schützenhilfe von Freikorps und Offizieren des davongejagten Kaisers abgewürgt wurde, ist in der Exposition nicht explizit erwähnt.

Als Ursachen für das Ende der Weimarer Republik werden die sechs Millionen Arbeitslosen und die von der SPD tolerierte Deflations- und Sparpolitik der Regierung Brüning aufgelistet, die Kommunisten und »Nationalsozialisten« Zulauf bescherten, für fast tägliche Straßenschlachten und Bürgerkriegsstimmung sorgten. Hier wird nicht plump die Mär von der Schuld der »Linksradikalen« am Untergang der ersten deutschen Demokratie wiedergekäut, sondern subtil wie lapidar (ohne Nennung interessierter Kreise) konstatiert: »Hitler provozierte diese Zustände und präsentierte sich zugleich als Retter vor der drohenden ›roten Gefahr‹.«

Mancher mag einwenden, von einer Plakatausstellung, 26 Schautafel mit 190 Fotos, könne man nicht historische Vertiefung, Differenzierung und Konkretisierung erwarten. Indes, was auf einer nächsten Schautafel kurz und bündig mitgeteilt wird, müsste eine professorale Feder beschämen: Der »Hitler-Stalin-Pakt« vom 23. August 1939 habe den Weg in den Krieg geebnet. Wie das? Sind die Pläne eines Auf- und Einmarschs der Wehrmacht in Polen, die Angriffziele von Görings Jagdfliegern und Bombern innerhalb von sieben Tagen ausgearbeitet worden? Die Generäle des »Dritten Reiches« - das ein tausendjähriges sein wollte und dank der Roten Armee, »die die Kraft der deutschen Kriegsmaschine gebrochen hat« (Churchill), nicht wurde - müssen Tausendsassas gewesen sein. Nun, man kann davon ausgehen, dass die Autoren, Professor Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München, und seine Mitarbeiterin Petra Weber, schon mal etwas vom »Fall Weiß«, dem lange vor dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag ausgearbeiteten Plan des Überfalls auf Polen, oder von Hitlers unmissverständlicher Rede vor Oberbefehlshabern im Mai 1939 gehört haben. Ganz zu schweigen von den schon länger auf Lauer liegenden und der Wehrmacht ab 1. September 1939 auf den Fuß folgenden Okkupationsbeamten und deutschen Unternehmen. Der Weg in den Zweiten Weltkrieg war spätestens seit dem Münchener Abkommen 1938 geebnet, mit der Appeasement-Politik der Westmächte.

Erfreulich an dieser Ausstellung ist das weitgefasste Bild vom deutschen Widerstand gegen die Hitlerdiktatur, vom einsamen Attentäter Georg Elser bis zur »Roten Kapelle«. Gewürdigt werden die Dänen und Holländer, die ihre Juden vor deutschen Antisemiten retteten, die Partisanen in Frankreich, Italien, Jugoslawien, Griechenland und der Sowjetunion ...

Die Nachkriegszeit ist erwartungsgemäß nach simpler Logik der Stiftung gestrickt: »Demokratie im Westen, Diktatur im Osten« (dumm nur, dass es die Salazar- und Franco-Diktatur und das Obristen-Regime in Griechenland gab). Ungeniert wird eine »neue Bedrohung durch den kommunistischen Block« behauptet, die zur westeuropäischen Integration zwang. Es war wohl zuvörderst der Markt. Und was heißt »neue«, überhaupt »Bedrohung«? Die reale durch die Sozialsysteme im »real existierenden Sozialismus« meinen die Autoren wohl nicht. Aber glauben sie wirklich selbst, ein KPdSU-Generalsekretär hätte je Westeuropa den Krieg erklärt? Entschuldigend könnte für die Autoren vorgebracht werden, dass offenbar Jewtuschenkos Frage »Meinst du, die Russen wollen Krieg?« nicht bis nach München vordrang. Die letzten Kapitel behandeln die EU-Osterweiterung und Europa als »Friedensmacht« - eine Selbstetikettierung, die von den kriegsgeplagten Menschen in Afghanistan, Irak oder Syrien wohl nicht geteilt und durch offensive Militärpräsenz in Afrika (fast wie zu Kolonialzeiten) konterkariert wird.

Nach dem Rundgang durch die Ausstellung ist man jedenfalls erleichtert, dass die Initiative der Bundesstiftung, 2014 mit seinen runden Jahrestagen des Ersten und Zweiten Weltkrieges sowie dem Fall des »Eisernen Vorhangs« vor 25 Jahren zu einem europäischen Erinnerungsjahr unter dem Motto der Ausstellung auszurufen, in Brüssel auf taube Ohren gestoßen ist.

Die Schau wird dennoch, wie Geschäftsführerin Anne Kaminsky betonte, dank auch im Ausland gezeigt. Die in 3000 Exemplaren gefertigten Plakate sollen jedoch vor allem bundesweit in Schulen, Rathäusern, Bundeswehrkasernen und sonstigen Einrichtungen zu sehen sein. Sie kann bei der Bundesstiftung gegen eine Schutzgebühr von 50 Euro erworben werden. Bleibt zu hoffen, dass die Schutzgebühr auch vor kritikloser Aufnahme von deren Inhalt schützt. Bundestagspräsident Norbert Lammert pries beim Eröffnungsakt in Berlin die Ausstellung als »Auftakt für eine Kampagne politischer Erinnerungskultur, für die wir in Deutschland eine solide Grundlage geschaffen haben«. Hieran anschließend ließe sich trefflich über die Deutschen und das Kampagnenwesen sinnieren.

»Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme«, ab heute bis 28. Februar im Lichthof des Auswärtigen Amtes in Berlin am Werderschen Markt.

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