Tote Afghanen und die Sorgen der Elite

Emran Feroz über einen Anschlag in Kabul und das selektive Interesse des Westens

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor einigen Tagen kam es im Kabuler Stadtteil Wazir Akbar Khan – der wohlhabendsten Gegend der Stadt, in der sich unter anderem auch mehrere westliche Botschaften befinden - zu einem verheerenden Selbstmordattentat. Unter denen Opfern befanden sich zahlreiche Ausländer, allerdings auch Afghanen. Der Anschlag – zu dem sich kurz darauf die radikalislamischen Taliban bekannten – traf das Herz Kabuls. Die Anschlagsszene - ein libanesisches Restaurant - war vor allem Treffpunkt wohlhabender Bürger sowie ausländischer Arbeitnehmer.

Als am vergangenen Freitag Nachrichtenagenturen meldeten, dass sich ein Anschlag in Kabul ereignet habe, zeigte die Öffentlichkeit anfangs nur wenig Interesse. »Alltag eben«, dachten sich wahrscheinlich viele Menschen außerhalb aber auch innerhalb Afghanistans. Dies änderte sich schnell, nachdem es plötzlich hieß, unter den Opfern befänden sich deutsche Diplomaten sowie andere Ausländer wie zum Beispiel Mitarbeiter der UN. Die Meldung stammte von den Taliban persönlich. Kurz nach dem Anschlag bekannte sich die Gruppierung unter anderen via Twitter zur Tat. Da man in Afghanistan allerdings gerne schnell übertreibt – vor allem hinsichtlich Todesmeldungen seitens der Taliban – erwies sie sich schnell als falsch. Diplomaten befanden sich nicht unter den Opfern, UN-Mitarbeiter jedoch sehr wohl.

Mindestens 21 Menschen starben an diesen Tag in der »Taverna Du Libane«. Das Hauptaugenmerk der Medien lag vor allem auf die ausländischen Opfer. Um die getöteten Afghanen – unter anderem ein frisch vermähltes Paar – kümmerte sich niemand, auch nicht die afghanischen Medien. Wenige Tage zuvor wurden kamen durch einen NATO-Luftangriff in der östlichen Provinz Parwan mindestens acht Menschen ums Leben – unter ihnen befanden sich ausschließlich Frauen und Kinder. Eine Meldung, die es kaum in die Nachrichten geschafft hat, geschweige denn in die Schlagzeilen.

Luftangriffe auf Zivilisten, das Bombardement von Hochzeitsfesten, nächtliche Durchsuchungen, bei denen es immer wieder zu Massakern kommt sowie Drohnen-Angriffe – neben den Anschlägen verschiedener extremistischer Gruppierungen gehören auch diese Dinge zum Alltag am Hindukusch. Genauso alltäglich ist die Terrorherrschaft lokaler Warlords, welche nebenbei in der afghanischen Politik mitmischen, sich mit Hilfs- und Drogengeldern bereichern, unter anderem in europäischen Hotels und Krankenhäusern ein und ausgehen und regelmäßig von westlichen Staatschefs besucht werden. (3)

Über diese Dinge sprach man weder am Freitag viel, noch tut man es heute. Eigentlich hat man es nie getan. Stattdessen konnte man - wenn auch zu Recht - ein weiteres Mal mit dem Finger auf die Taliban zeigen. In den Stunden nach dem Anschlag kam es weltweit zu einer Welle der Entrüstung. Die Protagonisten der westlichen Polit-Elite verurteilten den Anschlag, während die Zeitungen eine Schlagzeile nach der anderen druckten. Die grundsätzliche Kritik und Empörung an solch einem Anschlag, den man nur als abstoßend und unmenschlich bezeichnen kann, ist richtig und angebracht. Das Problem besteht nur darin, dass sie in diesem Fall nicht glaubwürdig ist.

Zum gleichen Zeitpunkt fehlt nämlich die Kritik an den stets zunehmenden »Kollateralschäden«, die von den NATO-Truppen verursacht werden. Während die meisten Verbrechen der US-Soldaten im Dunkeln bleiben, wie im Fall des Kandahar-Massakers und die Täter aufgrund der internationalen Vereinbarung mit den USA nicht auf einer Anklagebank in Den Haag landen dürfen, sieht auch Deutschland keinen Bedarf, in diese Richtung etwas zu ändern. Wäre dem so, hätte man den für das Bombardement von Kunduz verantwortlichen (damaligen) Oberst Klein sicherlich angemessen bestraft, anstatt ihn zum General zu befördern.

Auch im Fall vom Kunduz, welches zwar nicht de jure, allerdings de facto als Kriegsverbrechen zu bezeichnen ist, zeigten die Medien – allen voran die deutschen – keinerlei Interesse an einer objektiven Berichterstattung, geschweige denn an einer Aufklärung. Stattdessen wurde der einzige Mann, der sich um die Belange der Opfer kümmerte – der Bremer Rechtsanwalt Karim Popal – von einer medialen Schmierkampagne überzogen. Die deutsche Justiz verhielt sich nicht besser, indem sie zuerst Klein jeglicher Verantwortung und damit jeglicher Verbrechen freisprach und später eine Schadensersatzklage der Hinterbliebenen eine Abfuhr erteilte.

Zu den grundlegendsten Problemen am Hindukusch gehört allerdings auch das Verhalten der Afghanen an sich. Damit sind nicht alle afghanischen Bürger gemeint, sondern vor allem jene, die seit der ISAF-Intervention profitieren, in Reichtum leben und unter anderem auch an korrupten Geschäften beteiligt sind. Die soziale Schere in Afghanistan geht sehr weit auseinander. In Städten wie Kabul, Mazar-e Scharif oder Herat findet seit Jahren ein regelrechter Wirtschaftsboom statt. Bei den Immobilienpreisen würden selbst westliche Makler die Augen verdrehen. Es entstehen immer mehr moderne Hochhäuser, Einkaufszentren und andere Orte des Massenkonsums, die jenen in europäischen oder amerikanischen Großstädten in nichts nachstehen.

Die dort käuflichen Luxusgüter kann sich allerdings nur die afghanische Elite leisten. Eine kleine Gruppe, die hauptsächlich an mehreren Machthebeln sitzt, meistens aus dem westlichen Exil zurückgekehrt ist und nicht selten ein Jetset-Leben zwischen London, Los Angeles und Kabul führt. Eine Gruppe, deren Mitglieder auch zum Klientel der »Taverna Du Libane« gehört haben.

Dass sich Angehörige dieser Elite nun als »Aktivisten gegen den Terror« entpuppt haben, wie am Tag nach dem Anschlag auf einem »Protestmarsch« deutlich wurde, ist nicht verwunderlich. Genauso wenig ist es eine Überraschung, dass von ihnen jegliche Spur von Protest fehlt, wenn die NATO wieder einmal eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert hat. Selbiges galt auch vor einigen Wochen, als tausende von Afghanen gegen das Partnerschaftsabkommen (BAS) mit den USA demonstriert haben. Nicht das Schicksal der afghanischen Mehrheitsbevölkerung, die an Hunger und Armut leidet, liegt den »Reichen und Schönen« am Herzen, sondern der Status quo, der sie zu dem gemacht hat, was sie sind.

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