Angetreten für Rentenpunkte

Unternehmerverbände und CDU warnen vor drohender Frühverrentungswelle

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die geplante Rentenreform der Arbeitsministerin sorgt für Unmut: Arbeitgeber und Union kritisierten die abschlagsfreie Rente mit 63.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat Großes vor: Sie ist angetreten, per Rentenreform, über die das Bundeskabinett heute abstimmt, bestehende Ungerechtigkeiten bei den Altersbezügen zu verringern. So sollen Erziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder stärker angerechnet und die Entgeltpunkte für Geringverdiener aufgestockt werden. 60 Milliarden Euro Mehrkosten entstünden bis zum Jahr 2020, würden die Ministeriumspläne unverändert umgesetzt. Das aber ist kaum zu erwarten.

Derzeit dreht sich der Streit mit dem Koalitionspartner Union und verschiedenen Wirtschaftsverbänden um die von Nahles geplante abschlagsfreie Rente mit 63 für jene Arbeitnehmer, die mindestens 45 Jahre lang Versicherungsbeiträge eingezahlt haben. Neu ist, dass Phasen der Arbeitslosigkeit in die Rentenberechnung miteinbezogen werden sollen - allerdings nur solche, in denen Arbeitslosengeld I bezogen wurde.

Arbeitgeberverbände und Union warnten nun vor einer solchen Regelung. Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand sagte, die abschlagsfreie Rente mit 63 laufe »allen Anstrengungen zuwider, die Erwerbstätigkeit Älterer zu erhöhen«. Deutschland brauche keine neuen Frühverrentungsmodelle. Es müsse sichergestellt sein, sagte auch die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, dass es nicht zu einer Frühverrentungswelle komme. Die Neuregelung kann theoretisch dazu führen, dass langjährig Versicherte, die mit 61 arbeitslos werden, dennoch ab 63 eine abschlagsfreie Rente bekommen, weil die beiden Jahre der Arbeitslosigkeit auf die Beiträge angerechnet werden.

Nahles ruderte angesichts der Kritikwelle am Dienstag ein Stück zurück: Im Begleitschreiben zum Kabinettsentwurf, das »nd« vorliegt, heißt es, dass im parlamentarischen Verfahren geprüft werden müsse, »ob und wie Frühverrentung durch eine verfassungskonforme Regelung verhindert werden kann«. Ab 2018 solle die Bundesregierung zudem über die Auswirkungen der Altersrente für langjährig Versicherte berichten.

Der Kabinettsentwurf widerlegt aber gleichzeitig die Argumente der Kritiker einer abschlagsfreien Rente mit 63: Demnach ist »eine Zunahme älterer Leistungsbezieher von Arbeitslosengeld im Zuge von Frühverrentungsmaßnahmen nicht zu erwarten«. So führe der Bezug von Arbeitslosengeld zu finanziellen Einbußen. Wer selbst kündige, dem würden zudem die Leistungen gekürzt.

Der Rentenexperte der CDU, Peter Weiß, befürchtet anscheinend dennoch einen massenhaften Missbrauch der neuen Regelung, die zum 1. Juli in Kraft treten soll. Weiß sagte dem »Handelsblatt«, er halte es für möglich, dass sich die Koalition deshalb auf einen Stichtag verständigt, ab dem Arbeitslosigkeitszeiten nicht mehr berücksichtigt würden.

Weiß’ Amtskollege bei der Linksfraktion, Matthias W. Birkwald, forderte Nahles dagegen auf, hart zu bleiben: Würden Zeiten der Arbeitslosigkeit während der letzten Jahre vor dem Renteneintritt nicht anerkannt, sei das ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Panikmache vor einer Frühverrentungswelle bezeichnete er als »pure Ideologie«. Firmen mit altersgerechten Arbeitszeitmodellen, gesunden Arbeitsbedingungen und Förderprogrammen bekämen keine Probleme, qualifiziertes Personal zu halten. Dass derzeit nur 15 Prozent der 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien, zeige aber, dass gute Bedingungen für ältere Arbeitnehmer noch viel zu selten seien.

Auch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte, es sei »oberste Aufgabe der Unternehmen selbst«, Frühverrentungsprogramme zu vermeiden. Der Fachkräftemangel mache eine Personalpolitik notwendig, die ältere Beschäftigte fördere und den Stress bei der Arbeit reduziere.

Laut einer aktuellen Umfrage scheint das für viele Arbeitnehmer derzeit nicht gegeben zu sein: Nur 28 Prozent der 45- bis 60-Jährigen wollen demnach bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter voll erwerbstätig bleiben. Die Arbeitgeber erwarten dagegen, dass 61 Prozent der Beschäftigten bis zu diesem Zeitpunkt voll arbeiten.

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