Untergang. Bumm. Aus.

Staatsoper im Schillertheater Berlin: »Rein Gold« vom Elfriede Jelinek als Musiktheater

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Chaos versus Ordnung. Wer wollte anfechten, dass deren Antinomien in Gesellschaft, Natur, Kunst, ja oft genug in den eigenen vier Wänden uneingeschränkt Geltung haben? Und bezweifeln, dass Chaos, durch die anarchische Brille gesehen, Essenz aller Künste ist? »Rein Gold« von Elfride Jelinek, Parodie auf den Wagner-Operntitel, in der Inszenierung von Nicolas Stemann am Schillertheater stiftet ganze Bündel von Chaos und überschreibt alle Ordnung mit schwarzem Pinsel. Keineswegs zum Selbstzweck. Etwas Intaktes zu erlangen, suggerieren die Akteure der Bühne, sei nicht mehr möglich. Menschenhände sägten sich ihre Finger selber ab. Aller Regulationsabsicht seien Riegel vorgeschoben, den progressiven Veränderern der Schneid abgekauft.

Musik von Richard Wagner trumpft im Musiktheater »Rein Gold« groß auf. Jedoch lediglich als Band zwischen der Debatte um Gold und Geld, als Folie inmitten der Trümmerwelt. Ihre Gehalte sind passé. Ihre Geschichtlichkeit und Schönheit ein für alle Mal hinüber. Wer ist da noch, fragen die drei Schauspieler (eine Frau, zwei Männer), der einschreiten könnte? Der Besseres erreichen könnte? Oder nur Rat wüsste? In »Rein Gold« zerfällt eine ganze Welt, übrigens nicht ohne einen gewissen Glanz. Die gegebene heilige Ordnung geht in die Binsen, und nichts aus ihr taugt dazu, irgendwann wieder errichtet zu werden.

Der Krach, die Krisen, die Katastrophen seien irreversibel - suggeriert das Aufführungsteam. Die Folge: Untergang. Bumm. Aus. Zu guter Letzt fallen Leichen (Puppen) von der Decke und türmen sich. Schauspieler verbluten im Campingwagen. Der Bariton liegt tot am Boden, die Sopranistin desgleichen. Das Orchester verschwindet hinter Hüllen. Ein hübsch grellbunter Plüsch-Tiger oder ähnliches Gewächs spaziert quer. Ganz am Ende steht ein kleines rotblondes Mädchen vor einer Studer-Tonbandmaschine und schaut - einsam, alleingelassen - in die Augen des Publikums. All dies ist Ableitung einer Sicht- und Schreibweise.

Wer die Jelinek liest, dem wird nichts Schönes serviert. Sensitive, philosophische Verse - mitnichten. Große Empfindungen, leidenschaftliche Figuren - Fehlanzeige. Logische Erzählstrukturen - wozu? Perspektiven - welch Unsinn. Literarische Qualität, was immer das sei, scheint ihr zweitrangig. Helden kennt die Jelinek nicht, sie seien nicht auffindbar und längst nicht mehr nötig. Denn die chaotisch wirtschaftende, endlos verbrauchende, sich endlos verbrauchende Menschheit sei auf dem Holzweg. Ihr hypertrophes Interesse an Waren, Geld, Gold, am Handel mit demselben und deren Verselbstständigung, ihre Hilflosigkeit gegen die Entmächtigung der Gesellschaft, der Zivilisation, des Subjekts durch all dieses habe nur eine Folge: die Katastrophe. Davon nährt sich die Literatur der Autorin. Und die Bühne nicht minder. Jelinek seziert - unerbittlich, illusionslos - das, was ist. Und sie rechnet natürlich damit, dass die Bühnenleute dem folgen. Was der Crew in dem Fall - Hut ab - gelingt.

Marxens Geist geht um in Walhalla, geheftet an die poetischen Freiheitsideen des Revolutionärs und Barrikadenkämpfers Wagner, beider Utopien zu nichts weiter Wert, als auf der geschichtlichen Müllkippe fortzumodern. Eine Bruchbude dies heilige Walhalla (Bühne: Katrin Nottrodt). Versehrte Kronleuchter, verhangene Säulen, Grau in Braun der Raum. Ort, wo das Wesen des Geldes, Zinses, Zinseszinses, der Zauber des Goldes der irdischen Welt entschwindet und den göttlichen Himmel heimsucht.

Was, wenn diese Ultima Ratio fehlt? Darauf kann nur Kabarett folgen. Und die Drei machen das schamlos, indem sie Varianten des Untergangs gleichsam theoretisch durchspielen. Elektronik kommt in Position (Komposition: Sebastian Vogel) und behämmert die ganze Unwirtlichkeit. Die beiden Solisten, großartige Könner (Rebecca Teem als Brünhilde, Jürgen Linn als Wotan) vokalisieren in allen Lagen. Ungehört bleibt Brünhildes Repetition »Ich bin ein Mensch«. Wotan reagiert verzweifelt auf das »Wo ist das Geld, Papa« seiner Kinder. Die rote Fahne hält sich für Bruchteile aufrecht. Nicht fehlen durften die drei Rheintöchter. Gülden ausstaffiert (Kostüme: Marysol del Castillo) singen sie ihre Melodei auf die Verlockungen des Geldes.

Fast drei Stunden Anspannung. Musiktheater ohne Erzählstruktur, jonglierend auf dem Drahtseil. Wenn es einen Erlösungsgedanken gibt, dann geht er hier elend zu Bruch. Erlösung hieße ja Erlösung von der Fessel universeller Geldordnung mit all ihren Konsequenzen, letztlich Überwindung des Kapitalismus, wie er herrscht und heckt, sich Territorien ergaunert und aussaugt, Kapitalismus, worin sich seine Stützen im Zweifelsfall selber an den Hals gehen. Ein feste Burg ist »unser Geld«. Diese Burg gehört abgerissen. Dergleichen tönt bei allem Katastrophischen auch von der Bühne des Schillertheaters. Keine Buhrufe, allseits Zustimmung.

Nächste Vorstellung: 12. März

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