Operation oder Akzeptanz
Mandelsteine können überaus heftigen Geruch verursachen. Ihre Bekämpfung ist eine Lebensaufgabe
Sie kitzeln und kratzen im Hals, manchmal schmerzen sie. Selten stören sie auch beim Schlucken und Sprechen. Aber so richtig unappetitlich wird es erst, wenn die Bröckchen beim Husten oder Niesen aus Mund oder Nase fallen. Ihr Geruch stellt alles in den Schatten.
Viele Betroffene halten Mandelsteine für Eiter und landen mit einer vermuteten Mandelentzündung beim Arzt. Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Christian W. Lübbers aus Weilheim/Oberbayern lässt sich allerdings nicht täuschen: »Die Oberfläche der Gaumenmandeln ist nicht glatt, sondern besteht aus vielen Einsenkungen, sogenannten Krypten. Diese sind dazu da, die Oberfläche der Tonsillen (Mandeln) und damit die Abwehrfunktion zu vergrößern. Leider sammeln sich in diesen Krypten auch Speise- und Zellreste« - von Medizinern Detritus genannt. Im Grunde sind diese harmlos und keinesfalls ein Grund für Antibiotika.
Der Detritus bringt Foetor ex ore mit - was in der Fachsprache noch ganz annehmbar klingt, ist im Alltag schon mal sozialer Sprengstoff: Mundgeruch. Betroffene spülen mehr oder weniger erfolgreich Mund- und Rachenraum mit Lösungen aus Salbei, Thymian oder Salzwasser aus. Einige benutzen Mundduschen oder basteln aus Spritzen kleine Wasserpistolen und rücken damit den Mandeln direkt zu Leibe. Andere drücken mit stumpfen Gegenständen wie Löffeln, Nagelhautschiebern oder Häkelnadeln im Rachen herum, um die bis zu einem Zentimeter großen Bröckchen zu entfernen. Je rabiater man den Mandeln auf den Pelz rückt, um so größer ist aber die Gefahr der Verletzung. Überdies ist die Wiederkehr des Problems gewiss. In den Krypten sammelt sich permanent neuer Abfall.
Dr. Wolfgang Vahle, Hals-Nasen-Ohren-Arzt in Paderborn, kann auch dann helfen, wenn das alles nicht fruchtet - mit einer Tonsillektomie, einer operativen Entfernung der Gaumenmandeln. Diese auf den ersten Blick radikale Methode ist tatsächlich die einzig dauerhafte Lösung, denn: keine Mandeln - keine Krypten. Dennoch kursieren im Internet Gerüchte, dass im Einzelfall auch die Operation nicht half. Dr. Vahle weiß: »Ich kenne extrem seltene Einzelfälle, bei denen am Übergang zur Zungengrundmandel offenbar noch originales Tonsillengewebe stehen geblieben ist, in der Operation also nicht entfernt wurde. Wenn man Pech hat und sich in diesem Rest noch eine oder mehrere Krypten befinden, dann ist das Problem nur verkleinert, aber nicht vollständig gelöst.« Hier hilft eine zweite Operation - viel Aufwand, aber für genervte Betroffene die einzige Alternative. Da die Tonsillektomie bei sehr belästigendem Mundgeruch durch Detritus durchaus eine relative Operationsindikation darstellt, sind wenigstens die Kosten kein Problem - die übernimmt die Krankenkasse.
Der Weilheimer Arzt Lübbers kennt mit dem Roedern noch einen alternativen Weg - die Technik hat er allerdings nicht im Studium gelernt, sondern von seinem Vater, der ebenfalls HNO-Arzt ist. »Tatsächlich waren auch schon mein Großvater und mein Urgroßvater HNO-Ärzte, so dass sich diese Methode in der Familie vererbt hat und nicht verloren gegangen ist.« Zunächst wird der Rachen mit einem Spray betäubt, um den Würgereiz zu unterdrücken, dann setzt der Arzt einen sterilen Glassauger auf das Organ. »Mit dem entstehenden Sog stülpt sich die Mandel in die Saugeröffnung hinein, die Mandeltaschen werden geweitet und die Steine problemlos abgesaugt«, sagt Dr. Lübbers. Danach sollten Mund und Rachen mehrmals täglich gespült werden.
Die Utensilien für das Roedern kann jeder kaufen, aber Dr. Lübbers benutzt eine Absaugeinrichtung seiner HNO-Behandlungseinheit, weil bei den herkömmlichen Gerätschaften der Unterdruck zu schwach und zu kurz ist. Sein »Roedern 2.0« bekämpft zwar auch nur die Symptome, befreit aber die meisten Patienten mit nur wenigen Sitzungen für Monate, manchmal sogar für Jahre.
Der Kampf gegen Mandelsteine bleibt also entweder eine lebenslange Aufgabe oder man entschließt sich zur Operation. Akzeptanz kann auch helfen, denn mit den Mandelsteinen ist es wie mit dem Ohrenschmalz, sie gehören zum Leben dazu.
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