Warnung an alle Bürger

Strömungen der Linkspartei werden weiter im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. So wird aus einer politischen eine quasi-polizeiliche Auseinandersetzung gemacht

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Der neueste Verfassungsschutzbericht ist mit Blick auf die Linkspartei eine Ansammlung alter Vorurteile. Zwar erklärt der Inlandsgeheimdienst, dass »die Gesamtpartei« nicht beobachtet werde - allerdings würden »verschiedene Zusammenschlüsse ... seit Jahren eine Vielzahl von tatsächlichen Anhaltspunkten für linksextremistische Bestrebungen« aufweisen. Alsdann wird in dem Bericht Altbekanntes aufgeführt - mitunter hat man den Eindruck, der Verfassungsschutz schreibt vor allem jeweils aus den Vorjahres-Papieren ab.

Und worin bestehen nun die Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit linker Strömungen? Die Kommunistische Plattform will immer noch eine sozialistische Gesellschaft, die Sozialistische Linke knüpft an reformkommunistische Traditionen an, Cuba Si setzt sich nicht kritisch mit Menschenrechtsverstößen auf der Insel auseinander und so fort.

Man kann das alles für falsch oder verderblich halten, man kann es sogar kritisieren - verboten werden kann es aber unter Rückgriff auf die Verfassung nicht. Radikale Kritik an den Verhältnissen und politisches Engagement unter dem Ideenbanner »Was ist, muss nicht immer so bleiben« werden durch das Grundgesetz geschützt. Der Kapitalismus, daran muss man den Inlandsgeheimdienst offenbar immer wieder erinnern, wird vom Grundgesetz nicht für sakrosankt erklärt. Man kann ihn bejubeln, preisen, analysieren - man kann ihn aber auch ablehnen, überwinden wollen. Ganz verfassungsgemäß.

Es kann nicht sein, dass staatliche Behörden trotzdem und unter Berufung auf irgendeine angeblich linksextremistische Gefährdung der »Ordnung« eine politische Partei mit geheimdienstlichen Methoden bearbeiten. Die Konstruktion, mit welcher der Verfassungsschutz - und damit ja auch die Bundesregierung, der unter anderem Sozialdemokraten angehören - die Beobachtung von Linken weiterhin für statthaft hält, macht aus einer politischen Auseinandersetzung eine quasi-polizeiliche.

Das hat schon in den 1980er Jahren der linksliberale Verfassungsjurist Helmut Ridder auf den Punkt gebracht. Er sprach damals von einem »zum Staatsschutz umkippende ,Verfassungsschutz‘ der BRD« welcher angeblich »verfassungsfeindliche Ideologien« bekämpft - um seine eigene »zur monopolistischen Staats-Ideologie« zu machen.

Das Problem an den Verfassungsschutzberichten besteht vorderhand in der realen Kraft, welche die Diffamierung als »linksextrem« in der politischen Auseinandersetzung hat. Die Verdachtsberichterstattung des Verfassungsschutzes ist zum Teil selbst als grundgesetzwidrig kritisiert worden - weil sie zwischen Verdacht und Fällen erwiesener Verfassungsfeindlichkeit entweder gar nicht oder nicht hinreichend deutlich unterscheidet, wie es das Bundesverfassungsgericht 2005 als Maßstab formuliert hat.

Worin eine erwiesene Verfassungsfeindlichkeit etwa des »Marxistischen Forums« in der Linkspartei bestehen soll, von dem der Verfassungsschutzbericht weiß, ein Mitglied habe dafür plädiert, »aus den Werken von Marx, Engels und Lenin Überlegungen für die heutige Zeit zu entwickeln«, wird auch der Inlandsgeheimdienst nicht erklären können.

Am Ende bleibt als Hauptbeleg gegen die Strömungen der Linkspartei, dass sie mit den anderen Strömungen kooperieren. Das ist nicht mehr als eine Zirkelidiotie, bei der der Verdacht auf »Linksextremismus« des einen immer schon zum Beweis für den »Linksextremismus« des anderen taugt.

Die wenigen Seiten, welche der am Mittwoch vorgestellte Bericht über die Linkspartei enthält, sind so auf eine Weise lächerlich. Auf eine andere Weise aber ist das Papier alles andere als lustig. Der Jurist Dietrich Murswiek hat Verfassungsschutzberichte einmal als »ein äußerst wirksames Kampfinstrument« bezeichnet - sie enthielten »implizit die Warnung an alle Bürger: Haltet Euch von den als ,Extremisten‘ geouteten Organisationen fern, unterstützt sie nicht, beteiligt Euch an ihrer Ausgrenzung«.

Der Bericht, von dem gesagt wird, er sei nötig, um die Demokratie zu schützen, bleibt ein Dokument der politischen Fragwürdigkeit - und eine Mahnung, nicht nachzulassen in der Kritik einer Behörde, die in den vergangenen Jahren nicht nur gravierende Fehler zu verantworten hatte, sondern selbst ein Instrument der Verfassungsgefährdung geworden ist. Sie gehört aufgelöst.

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