Die Großkopferten und der Fußball

Das wirtschaftlich gebeutelte Argentinien hofft auf einen Achtelfinalsieg von Messi und Co

Der Weltverband FIFA bejubelt das Turnier in Südamerika als großen Erfolg, die ausgeschiedenen Uruguayer und Mexikaner verfluchen hingegen den Weltverband - teilweise drastisch.

Schon bevor an diesem Dienstag mit den letzten Achtelfinalen die zweite Runde beendet wird, hat sich die FIFA heftig auf die Schulter geklopft: Drei Millionen Besucher in Brasiliens Fanzonen. WM-Stadien, die zu 98 Prozent ausgelastet sind. Anti-WM-Proteste, die keine Massenbewegung geworden sind. Und Einschaltquoten, die nicht nur in Deutschland Rekorde bedeuten, sondern beispielsweise auch im Milliardenmarkt USA völlig neue Gewinndimensionen erhoffen lassen. Noch dazu fallen so viele Tore wie seit 50 Jahren nicht mehr. FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke, der sich in den vergangenen zwei Jahren als Stadioninspekteur reichlich unbeliebt gemacht hatte, attestiert den Brasilianern nun begeistert die »beste, wunderbarste WM aller Zeiten«.

Die erste Lateinamerika-WM seit 1986 macht tatsächlich Lust auf mehr. Doch es könnte eine Weile dauern, bis nach Brasilien 2014 hier mal wieder ein Endrundenturnier gespielt wird, denn gerade die ausgeschiedenen Länder gehen den Fußballweltverband heftig an. In Mexiko beispielsweise macht man die FIFA mitverantwortlich für das Ausscheiden gegen die Niederlande: »Wenn ein Schiedsrichter vom Kontinentalverband des Gegners aufläuft, muss man das hinterfragen«, schimpfte Mexikos Trainerkauz Miguel Herrera.

In Uruguay, wo man die Viermonate-Sperre gegen den bissigen Stürmer Luis Suárez gemeinhin als großes Unrecht ansieht, drückte der Staatspräsident seine Unzufriedenheit noch ein Stück deutlicher aus: »Die FIFA ist ein Haufen alter Hurensöhne«, meinte José Mujica angesichts »eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte des Fußball«. Wegen der Strafe für Suarez nennt er die FIFA »Hijos de putas« - fast möchte man die Fußballgranden aus Zürich in Schutz nehmen.

Fußballriese Argentinien ist ganz sicher auch kein Ausrichterkandidat für die kommenden Jahre: Dem Gastgeber der WM von 1978 droht die erneute Staatspleite, weil Hedgefonds eine halbe Milliarde Dollar zurückfordern, noch dazu ein Korruptionsskandal um den Vizepräsidenten. Es wird mit deutlichen Steuererhöhungen gerechnet Andererseits ist der Fußball, wie sich auch in Brasilien zeigt, ein gut geeignetes Mittel, die Aufmerksamkeit umzulenken.

Auch die Argentinier fiebern in diesen Tagen mit Lionel Messi, Angel di Maria, Gonzalo Higuain und Kollegen. Zu Zehntausenden waren sie bei den Vorrundenspielen im Süden Brasiliens dabei, auch heute Mittag werden sie Sao Paulos Innenstadt hellblau-weiß tönen, wenn es zum Achtelfinalmatch gegen die Schweizer geht (13 Uhr Ortszeit). Nach dem jeweiligen Viertelfinalaus 2006 und 2010 soll es 2014 in Brasilien endlich besser klappen, wünscht sich auch Präsidentin Christina Kirchner, der ein dritter WM-Titel zumindest das Innenpolitische erleichtern könnte.

Das besondere Verhältnis zwischen den beiden wichtigsten Nationen Südamerikas wird nicht nur auf den Straßen Brasiliens zelebriert, sondern auch in den Zeitungen und Fernsehstationen der Länder. Wer war der Größte, Maradona oder Pelé? Wer ist der Größte, Neymar Junior oder Messi? Vor allem die brasilianischen Medien wünschen sich ein Aufeinandertreffen, um diese Fragen zu klären, allein: Es wäre erst im Finale soweit. In Sachen Finalsiege führt Brasilien mit 5:2 gegen die Nachbarn aus dem Süden.

Die Argentinier wollen auf ihrem Weg gen Endspiel eine kräftezehrende Verlängerung vermeiden und schon gar nicht wollen sie es so weit kommen lassen wie die Brasilianer, die sich per Elfmeterschießen ins Viertelfinale zitterten. »Die Argentinier haben einen Vorsprung an Erfahrung gegenüber Brasilien«, konstatiert die Zeitung »Clarin«, und führt an, dass unter den 23 Spielern aus Felipe Scolaris Selecao nur sechs Mann überhaupt WM-Erfahrung aufweisen. Argentinien hingegen habe immerhin zwölf Fußballer im Kader, die schon einmal ein Endrundenturnier bestritten haben. »Es scheint, dass solche Veteranen dem nervlichen Druck viel besser standhalten können.« Die Unterstützung der vielen argentinischen Fans werde ein Übriges tun.

Doch auch wenn den Schweizer Fußballern um Dreifachtorschütze Xherdan Shaqiri nicht annähernd so viele Anhänger nach Brasilien gefolgt sind: Mindestens das halbe Corinthians-Stadion wird den Hitzfeld-Kickern zujubeln, wenn auch in gelben statt in roten Trikots. Die Rivalität zwischen Brasilien und Argentinien war einst durch einen Boykott besiegelt worden: Als die Brasilianer 1950 ihre erste WM austrugen, hatte Nachbar Argentinien seine Teilnahme abgesagt - beide Fußballverbände waren zerstritten und viele argentinische Profis hatten nach einem Streik für Mindestlöhne und freie Arbeitsplatzwahl das Land verlassen. Argentiniens Machthaber Perón, der die Bedeutung des Sport für die Politik längst begriffen hatte, fürchtete den Gesichtsverlust im Falle einer Niederlage.

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