Rational gegen den Heilsbringer

Im Gegensatz zu Gegner Argentinien führt Bundestrainer Löw seine Elf ohne Pathos ins Finale

Es ist soweit. 882 Spiele sind seit der ersten Qualifikationspartie zwischen Montserrat und Belize am 15. Juni 2011 gespielt, 2520 Tore erzielt worden. Noch zwei von 64 Endrundenspielen stehen aus, dann ist die Fußball-WM 2014 Geschichte. Fast fünf Wochen war der Fußball, diese imperiale Sportart (Helmut Digel in der »NZZ«), omnipräsent, und zwar weltweit. Milliarden Euro wurden während des Turniers rings um den Fußball umgesetzt, nicht nur in Brasilien wurden Ferien und Feiertage dafür verlegt. Und so wie Bundespräsident Joachim Gauck am Freitag die Diätenerhöhung unterzeichnete, nutzten viel Politiker andernorts den WM-Trubel, um ein paar unangenehme Dinge über die Bühne zu bringen.

203 Nationalmannschaften haben ihren Traum von der WM 2014 geträumt, und noch vier sind dabei. Brasilien und die Niederländer werden nicht um ihr kleines Finale beneidet, dass sie am Samstag in der Hauptstadt Brasilía austragen - außer vielleicht in Montserrat und Belize. Schon die offizielle FIFA-Ansetzung verrät, wer hier aufeinander trifft: »Loser SF1 vs. Loser SF 2«. Verlierer gegen Verlierer, wobei Gastgeber Brasilien der Teilgewinn gelingen könnte, den Gesichtsverlust aus dem Halbfinale ein wenig abzumildern.

Die beiden Finalisten vom Sonntag hingegen könnten sich kaum unterschiedlicher präsentieren: Einerseits die Argentinier, die es letztmals 1990 in ein Endspiel geschafft hatten. Ihr Fußballspiel ist eine Mischung aus rigoroser Defensivtätigkeit, für die Barcelona-Glatzkopf Javier Mascherano wie kein Zweiter steht, und dem Können ihrer Besten, die sich wohl nicht zu Unrecht für einmalig halten. Gonzalo Higuain, der geniale Mittelstürmer. Angreifer Ángel di Maria, der womöglich pünktlich zum Finale seine Muskelverletzung auskuriert hat. Und natürlich Lionel Messi, der mit 27 Jahren nach zweimaligem Scheitern in WM-Viertelfinalspielen - jeweils gegen Deutschland - nun den Titel gewinnen kann, der ihn in eine andere Liga katapultieren soll. Als Weltmeister könnte er der Kategorie Pelé/Maradona näherrücken. Auf die ewige Frage nach dem besten Fußballer aller Zeiten wären künftig drei Antworten möglich.

Die Argentinier wähnen sich nicht zu unrecht als Außenseiter, mit reichlich Pathos und einem Übermaß an Patriotismus versuchen sie, sich auf das Finale einzustimmen: »Zwei Generationen haben Argentinien nicht in einem WM-Finale sehen können. Jetzt sind die Augen der Welt wieder auf unser Land und unsere Fahne gerichtet«, sagt Mascherano. Und Nationaltrainer Alejandro Sabella stilisiert Lionel Messi zum Heilsbringer für das am Rande der Staatspleite entlangrutschende Argentinien: Wenn Messi am Ball ist, sei dies »eine Zeichen der Hoffnung für ein ganzes Land.«

Demgegenüber verhält sich der Deutsche Fußball-Bund geradezu zurückhaltend, auch wenn der Schland-Wahn in Deutschland ein wenig den Blick darauf verstellt. Es war die nüchterne Rationalität des Bundestrainers Joachim Löw, die die Mannschaft ins WM-Endspiel gebracht hat. »Wenn man sagt, Deutschland ist jetzt mal wieder dran, damit kann ich nichts anfangen«, hatte Löw im Laufe des Turniers einmal formuliert. Er geht alles Geraune und Getue im Fußballgeschäft ab: Präzise und konzentriert hat der 54-Jährige diese spielstärkste Generation von deutschen Fußballern durchs Turnier geleitet. Er beherrscht keine Posen wie Beckenbauer, aber er hat stets ein Konzept. Löw vertraute unbeirrbar auf Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira, als die beiden Herren auf der Sechserposition zwischendurch etwas aus dem Rhythmus zu sein schienen. Er beorderte Kapitän Lahm von der Mitte auf die Außenbahn. Er vertraute seiner Stammformation, und seine Einwechselspieler trafen.

Unbeirrbar hat sich die deutsche Mannschaft unter Joachim Löws Anleitung in dieses Finale gespielt. Sie hat die Nerven bewahrt, wenn sie mal nicht so glänzen konnte wie beim 2:2 gegen Ghana oder dem wackeligen 2:1 über Algerien. Im Gegensatz zur Hysterie zuhause haben die deutschen Spieler sich auch zurückgehalten, als Portugal mit 4:0 und Brasilien mit 7:1 abgefertigt waren.

Anno 2014, nach acht Jahren unter Löw ist es längst so, dass die jeweiligen Gegner der DFB-Mannschaft ankündigen, sie würden mit Wille und Entschlossenheit gegen Deutschland ankämpfen, weil diese schließlich den besten Fußball überhaupt spielen. Das ist beinahe schon so viel wert wie die Endspielteilnahme. Ein Finalsieg allerdings wäre ungleich wertvoller.

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