Kein Grab, keine Tafel

Nichts erinnert an den ersten tödlichen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft - eine Initiative will das ändern

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Nacht zum 22. August 1980 verbrannten zwei Vietnamesen in einer Hamburger Flüchtlingsunterkunft. Sie fielen einem Anschlag von Neonazis zum Opfer. In der Stadt ist das längst vergessen.

Speditionslaster donnern durch die Halskestraße im Hamburger Stadtteil Billbrook. Zwischen Industrielagern und Schrottplätzen stand hier bis vor acht Jahren eine der größten Flüchtlingsunterkünfte der Hansestadt. 240 Menschen lebten im August 1980 in dem Haus Nummer 67, 211 »boat people« aus Vietnam, 29 Roma. In der Nacht zum 22. August warfen zwei Neonazis Molotow-Cocktails in ein Fenster der Unterkunft. In dem Zimmer dahinter schliefen der 22-jährige Ngoc Nguyên und der 18-jährige Anh Lân Dô. Einer der beiden Männer stirbt noch am folgenden Morgen, der andere erliegt einige Tage später seinen schweren Verletzungen.

Linke Gruppen rufen für Sonnabend zu einer Gedenkkundgebung für die beiden Neonaziopfer auf. Sie kritisieren die mangelnde Gedenkkultur in der Stadt. Denn an dem Haus, das heute ein Hotel ist, erinnert nichts daran, dass hier zwei Menschen ermordet wurden. Die Kundgebung soll ein erster Schritt sein, um für Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô einen Gedenkort zu schaffen.

Eine große Aufgabe, denn in Hamburg gibt es keinen Ort, an dem des Anschlags und der beiden Opfer gedacht wird. Selbst die Gräber der beiden Flüchtlinge auf dem Öjendorfer Friedhof sind längst eingeebnet. »Das wird nicht einfach, da der Mord 34 Jahre zurück liegt und bislang kaum eine Initiative oder migrantische Community einen Gedenkort gefordert hat«, meint der Rechtsanwalt Ünal Zeran. Seine Initiative ist es mit Rückenwind durch die türkischsprachige Öffentlichkeit Jahrzehnte später gelungen, eine Platzumbenennung und einen Gedenkstein für Ramazan Avci durchzusetzen. Der Einwanderer aus der Türkei war am 21. Dezember 1985 vor einem Hamburger S-Bahnhof von Neonazis totgeschlagen worden.

Das Attentat in der Halskestraße hat für die verdrängte Geschichte des Rassismus in der Bundesrepublik eine große Bedeutung. Linke AktivistInnen bezeichnen ihn als den ersten rassistischen Mordanschlag nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und widersprechen dem »Mythos«, der NSU-Mord an Süleyman Tasköprü von 2001 sei der erste und einzige rassistisch motivierte Mord in Hamburg gewesen.

An dem Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft war der bekannte Altnazi Manfred Roeder beteiligt. Roeder hatte Anfang 1980 die »Deutschen Aktionsgruppen« gegründet. Zwei Wochen nach dem Anschlag in der Halskestraße waren die fünf bekannten Nazis der Gruppe in Haft und wurden als »terroristische Vereinigung« angeklagt. Roeder kam 1990 nach zwei Dritteln der Haftzeit wegen guter Führung frei. 1997 verteilten Mitglieder des »Thüringer Heimatschutzes« eine nationalsozialistische Hetzschrift von Roeder. Für die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« war er ein Vorbild. »Der NSU bezog sich auf Roeder, so dass hier eine eindeutige Verbindungslinie gezeigt werden kann«, sagt Ünal Zeran. »Es macht deutlich, dass rassistische Verbrechen nicht erst mit dem Mauerfall beginnen und kein ostdeutsches Problem sind.«

Kundgebung zum Gedenken an Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô: Hamburg, 23. August, 14 Uhr, Halskestr. 72.

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