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Kamerascheu in München

Polizei geht gegen Journalisten wegen angeblicher Porträtaufnahmen von Beamten vor

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 3 Min.
Als der Journalist Felix Benneckenstein in München eine rechte Kundgebung dokumentieren will, nehmen Einsatzkräfte ihn in Gewahrsam und beschlagnahmen seine Speicherkarte.

Felix Benneckenstein ist noch immer fassungslos. Eigentlich, sagt der Journalist, habe er am 14. August im Rahmen eines Filmprojekts über die Situation von Flüchtlingen bloß eine rassistische Kundgebung der NPD-Liste »Bürgeriniative Ausländerstopp« (BIA) dokumentieren wollen. Aufnahmen dieser Art hat der 28 Jahre alte Neonazi-Aussteiger, der heute journalistisch über Rechtsextremismus aufzuklären versucht, in der Vergangenheit bereits viele Male gemacht. Normal hätte es ein Routinedreh werden sollen, sagt er.

Zuerst lief die Kundgebung im Umfeld der Bayernkaserne, einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in München, dann auch relativ gewöhnlich ab: Drei mit einem Auto angereiste BIA-Aktivisten hetzten gegen Flüchtlinge, viele Demokraten stellten sich den rassistischen Agitationen entgegen. Im weiteren Verlauf habe sich die Situation jedoch zugespitzt, erzählt Benneckenstein, später sei es zu Rangeleien zwischen Einsatzkräften und Demonstranten gekommen. Dabei habe die Polizei teils Leute herumgeschubst und sei mit Schlagstöcken gegen Protestierende vorgegangen. Er selbst habe all diese Szenen - »auch die Gewalt« - aufgezeichnet.

Doch als das Fahrzeug der BIA dann abgefahren ist und die Kundgebung beendet schien, geriet Benneckenstein plötzlich selbst in den Fokus der Einsatzkräfte. »Auf einmal hat einer geschrien: ›Da ist die Kamera!‹«, erzählt der Journalist, »und dann bin ich schon festgenommen und durch die Demonstranten hindurch zur Gefangenensammelstelle geführt worden.« Erst dort habe er erfahren, dass ihm ein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) vorgeworfen wird, weil er einzelne Beamte porträthaft abgebildet hätte. Aus diesem Grund habe die Polizei zunächst eine Löschung der Videos gefordert, was wegen der teils minutenlangen Sequenzen aber nicht ohne Weiteres möglich war, schildert Benneckenstein.

Daraufhin wäre ihm kurz gedroht worden, die Kamera zu beschlagnahmen und ihn zur Wache zu bringen. Später seien die Beamten zwar wieder davon abgerückt, seine Speicherkarte mit Videomaterial wurde aber trotzdem eingezogen. Anschließend wurde er freigelassen.

Inzwischen hat die Festnahme sowie die Beschlagnahmung der Speicherkarte zu Kritik geführt. In einem Offenen Brief an Polizeipräsidenten Hubertus Andrä beklagten die Stadträte Dominik Krause (Grüne), Christian Vorländer (SPD) und Marian Offman (CSU) ein »unverhältnismäßiges Vorgehen«. »So erhebliche und in die Grundrechte der Betroffenen eingreifende polizeiliche Maßnahmen wie vorläufige Festnahmen oder Beschlagnahmungen«, heißt es, »sollten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zukünftig möglichst vermieden werden.« Insgesamt erscheine ihnen das Vorgehen »als nicht mehr verhältnismäßig«.

Die Polizei widerspricht diesen Vorwürfen. »Wir sind es gewöhnt, bei Einsätzen fotografiert und/oder gefilmt zu werden, das ist ein legitimes Recht«, sagt Thomas Baumann, stellvertretender Pressesprecher des Polizeipräsidiums München, auf Nachfrage des »nd«. Im konkreten Fall wären Polizisten allerdings »aus unmittelbarer Nähe« abgefilmt worden. Zudem hätte der Fotograf angekündigt, Porträts im Internet zu veröffentlichen. Mit dem KunstUrhG sei dies nicht vereinbar. »Es bestand ein Verdacht und dem muss die Polizei nach dem Legalitätsprinzip nachgehen.« Daher wäre der Fotograf zur Feststellung der Personalien sowie zu einer Anzeige nach dem KunstUrhG kurz in Gewahrsam genommen worden. Dabei sei zur Beweissicherung als »geringstmögliches Mittel« die Speicherkarte beschlagnahmt worden, die nun vom zuständigen Fachdezernat ausgewertet wird. Danach müsse die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob die Materialien für eine Anklage ausreichen.

Benneckenstein selbst hält den Vorwurf, mit der Einstellung von Porträts gedroht zu haben, für absurd. »Das ist das letzte«, sagt er. Während der Kundgebung habe er lediglich angekündigt, einen Video-Beitrag zu veröffentlichen, von Porträts wäre keine Rede gewesen. In der Vergangenheit habe er in Videos Polizeibeamten teilweise sogar verpixelt, erzählt er. »Das ist doch Wahnsinn!« Gemeinsam mit einem Anwalt will er jetzt die Karte, auf der sich auch Video-Material für die geplante Dokumentation befindet, zurückfordern. Eventuell, sagt er, will er mit dem Fall auch an den Landtag herantreten.

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