Lichtgestalt im Selbstgespräch

Das Landesmuseum Mainz widmet dem impressionistischen Maler Max Slevogt eine große Retrospektive

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Er war in Bayern aufgewachsen, in Berlin zu Ruhm und Ehre gelangt, und die Sommerzeit verbrachte er meist im pfälzischen Gadramstein und auf seinem Landgut Neukastel bei Leinsweiler, dem heutigen Slevogthof, wo er auch 1932 verstarb. Allein drei Stätten machen heute im Land Rheinland-Pfalz auf den Maler Max Slevogt, einen der Hauptvertreter des Impressionismus, aufmerksam. Teile seines umfangreichen Nachlasses - vor allem die Gemälde - werden in der seit vergangenem Jahr umgestalteten Max-Slevogt-Galerie im Schloss Villa Ludwigshöhe gezeigt, während das grafische Œuvre im Landesmuseum Mainz betreut wird. Nach dem Tod der Enkelin Slevogts wird nun auch der Slevogthof mit den einstigen Wohnräumen des Malers als Künstlergedenkstätte eingerichtet.

In der ersten umfassenden Slevogt-Retrospektive seit mehr als 20 Jahren zeigt das Landesmuseum Mainz nicht nur viele seiner berühmten Gemälde, die ihn zu einem der populären Künstler des 20. Jahrhunderts machten, sondern erstmals können auch die Studien und Skizzen in großem Umfang vorgestellt werden, mit denen Slevogt im Atelier arbeitete. So wird sein Weg nachgezeichnet, der von den akribisch vorbereiteten Werken des noch jungen Künstlers zu den reifen, aus dem »Handgelenk« spontan und schnell entstandenen Gemälden des »Meisters« führte.

Die Anfänge Slevogts standen ganz im Zeichen der »Lichtmalerei«, die gegen die »braune Soße«, das Altmeister-Rezept Lenbachs gerichtet war. Seine »Danae« (Öl auf Leinwand, 1893), ein schroff verkürzter und dadurch prostituiertenhaft wirkender weiblicher Akt, und die gierig den Goldregen auffangende Kupplerin führten bei ihrer Ausstellung 1899 in München zu einem Skandal. Im Triptychon »Rückkehr des verlorenen Sohnes« (Öl auf Leinwand, 1898/99) gestaltete er die Szene ungleich bewegter und emotionaler als Rembrandt und hob den Moment der Überraschung über das Wiedersehen als spontane Reaktion hervor. 1901 zog Slevogt von München nach Berlin, legte die dunkeltonige Farbigkeit ab und wandte sich konsequent den impressionistischen Bildmitteln zu.

Mit einem an Manet und Renoir geschulten Pinselstrich und einer farbig differenzierten Palette setzen 1902 die Rollenporträts als Momentaufnahme ein, virtuos gemalte Darstellungen von Tänzerinnen und Opernsängern. Die Flamenco-Tänzerin Marietta di Rigardo dreht sich in schwungvoller Bewegung um die eigene Körperachse, während Anna Pawlowna als Bajadere während des Todestanzes posiert. Die Schauspielerin Tilla Durieux wiederum hat Slevogt als Weib des Pontiphar in katzenhaft schleichender Bewegung, von hellem Scheinwerferlicht erfasst, wiedergegeben.

Eine ganze Werkgruppe ist um den portugiesischen Sänger Francisco d’Andrade in der Rolle des Don Giovanni entstanden, deren Genese durch eine Vielfalt von Zeichnungen und Studien nachvollzogen werden kann. Die Individualität des Sängers ist mit der Rolle - im höchsten Moment des Spiels - zur vollkommenen Deckung gelangt (»Das Champagnerlied«, 1902). In seinen Porträts wollte Slevogt das Individuelle, Persönliche festhalten, aber auch das Vorübergehende einer Stimmung. Den Kunsthistoriker Karl Voll, der ihn fördernd begleitet hat, stellte er im lichterfüllten Garten von Godramstein dar (Öl auf Leinwand, 1911), das flimmernde und irisierende Spiel der Sonne lotet die seelische Grundstimmung des Porträtierten aus. Wiederholt hat der Maler in Selbstbildnissen auch den Dialog mit dem eigenen Ich gesucht und sich Rechenschaft über seine Arbeit und seine jeweilige Befindlichkeit gegeben.

Die Impression von der flüchtigen Erscheinung etwa eines Pferderennens (»Trabrennbahn in Ruhleben«, um 1920) verband er mit der ihm eigenen Freude am Erzählerischen. Auch die späten Stillleben und Landschaften aus der Pfalz (»Der Garten in Neukastel mit der Bibliothek«, 1930/31) zeugen von koloristischer Raffinesse und zugleich fester Komposition. Die Farben blühen auf, der Bildraum weitet sich. Die Kompositionen sind durch die Unterteilung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund klar strukturiert. 1914 war Slevogt nach Ägypten gereist, wo Bilder entstanden, die das Erleben in reine malerische Qualitäten verwandeln und die Szene wie das Gegenständliche im gleißenden Licht sich fast auflösen lassen.

Im Gegensatz zu den Figurenbildern machte er zu den weitgehend menschenleeren Landschaftsgemälden keine Vorstudien und malte vor dem Motiv »alla prima«, er setzte Ton neben Ton, Farbfleck neben Farbfleck, wie die Farbe in der Schlusswirkung stehen sollte. Seine Vorliebe galt dramatischen Naturschauspielen wie Gewitter, Abendstimmungen, durch Wolken brechenden Sonnenstrahlen, überhaupt dem Licht. Licht zur Wahrnehmung von Farbe - das war sein Thema. Er hielt die Einmaligkeit der jeweiligen Situation fest, »als sähe er dergleichen zum ersten Mal« (Slevogt). Noch im letzten Lebensjahr schuf er in nur zwei Wochen eine Serie von zehn kleinformatigen Herbstbildern.

Ein wichtiger Schwerpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit lag auf dem Gebiet der Grafik, in der er unter Einbeziehung aller gängigen Techniken sowohl Illustrationen zu literarischen Stoffen wie auch freie Themen schuf, sich Fantasien und Träumen hingab. Auch hier verbindet sich das Darstellungsprinzip des erzählerischen, lebensvoll schildernden Bildes mit momenthaften Bewegungen, das in seiner stimmungshaft ausmalenden Erscheinung, dem mit dichten Strichlagen erzeugten lebhaften Hell und Dunkel einem innigen und zugleich freien Versenken in den Stoff gleicht. Es herrschen prägnante Bewegungen vor, verwirklicht durch eine fabulierende Kunst der skizzierenden Andeutung, die jede Aktion auf dem höchsten Punkt des Geschehens fixiert. Der Betrachter wird in seiner sinnlichen Aktivität angesprochen, er muss »das Produktive, Erregende des Künstlers auffangen und in sich weiter schaffen können«, sagte Slevogt.

Die beeindruckende Mainzer Schau vermag die besondere Leistung Slevogts herauszuarbeiten: der Befreiung der künstlerischen Subjektivität den Weg bereitet zu haben.

Max Slevogt - Neue Wege des Impressionismus. Landesmuseum Mainz, bis 12. Oktober. Katalog 45 Euro.

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