Hilfe lässt auf sich warten

Ebola-Epidemie wächst sich aus. Kollaps droht, wenn Maßnahmen nicht schnell greifen

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 5 Min.
Von der Ebola-Epidemie am stärksten betroffen sind nach wie vor Liberia, Sierra Leone und Guinea. Die Seuche hat nun selbst den UN-Sicherheitsrat auf den Plan gerufen.

Der Vergleich hinkt und zeigt dennoch die Dramatik: Erst einmal in seiner Geschichte befasste sich der Weltsicherheitsrat mit einer Krankheit. Im Jahr 2000 mit der globalen Geißel, der Immunschwächekrankheit Aids. Eine globale Geißel ist Ebola noch nicht, aber zumindest laut US-Präsident Barack Obama »eine potenzielle Gefahr für die globale Sicherheit«. Und zwar dann, »wenn diese Länder zusammenbrechen, wenn ihre Wirtschaft kollabiert, Menschen in Panik geraten«.

Obamas Schreckensszenario lässt sich in Ansätzen schon deutlich erkennen: Da ist der Sturm durch Anwohner einer in einem Armenviertel eingerichteten Ebola-Station in der liberianischen Hauptstadt Monrovia Ende August, bei dem 17 Patienten aus der Quarantänestation flohen. Die Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch, die Gesundheitssysteme sind heillos überfordert: »Manche Leute wollen sich ja selbst einliefern, weil sie Ebola-Symptome bei sich feststellen. Aber weil es keine Krankenwagen gibt, fahren sie mit Privatautos oder mit dem Sammeltaxi zum Krankenhaus - dabei infizieren sie noch mehr Menschen. Im Krankenhaus werden sie dann abgewiesen, weil die Isolierstationen fehlen und weil es keine Betten gibt! Wir haben das gerade erlebt, vor dem größten Hospital in Monrovia, da hat man Leute in ihrem Taxi eingesperrt, als klar war, dass sie infiziert sind - und das bei der Hitze! Ein Kranker hat sich dann aus dem Auto befreit und sich übergeben.« So schilderte Caroline Bowah, Projektkoordinatorin der Organisation Medica Mondiale in Monrovia, der ARD die Realität vor Ort. Seit 2006 engagiert sich die Frauenrechtsorganisation in Liberia. In einem Land, in dem 14 Jahre Bürgerkrieg (1989 bis 2003) seine Spuren hinterlassen hat - sei es bei der maroden Infrastruktur von Straßen bis Krankenhäusern oder die in beträchtlichen Teilen traumatisierte Bevölkerung - von den zwangsrekrutierten Kindersoldaten angefangen.

In Sierra Leone ist ebenfalls keine Entspannung in Sicht. Im Gegenteil: Dort verdichten sich die Anzeichen für eine Hungersnot. Eine aktuelle Studie der Welthungerhilfe hat festgestellt, dass sich die Folgen der Ebola-Epidemie in Sierra Leone bis Anfang 2015 noch dramatischer auswirken könnten als bereits die Krankheit selbst. »Ab März rechnen wir hier mit gravierendem Hunger«, warnt Jochen Moninger, seit vier Jahren Landeskoordinator in Sierra Leone.

»Die Region zählt ohnehin zu einer der ärmsten der Welt. Wir müssen uns jetzt auf Nahrungsmittellieferungen in großem Umfang vorbereiten, das Gesundheitssystem verbessern, ein Frühwarnsystem einrichten«, betont Moninger. Die Lebensmittelpreise im ländlichen Raum steigen rasant, auch weil Transporte nur noch tagsüber zu bestimmten Zeiten erlaubt sind. Um die Epidemie einzudämmen, wurden ganze Dörfer isoliert, in einigen Epizentren gehen die Nahrungsmittelvorräte zur Neige. In diesem Jahr konnten nur noch rund 40 Prozent der Felder bewirtschaftet werden.

»Die Wirtschaft ist schon jetzt zusammengebrochen: Ausländische Firmen haben das Land verlassen, lokale Märkte existieren nur noch eingeschränkt. Um die weitere Ausbreitung der Epidemie zu stoppen, dürfen Handels- und Verkehrswege nicht mehr benutzt werden«, beschreibt Moninger die Situation vor Ort.

Ähnlich katastrophal schätzt der Ökonom Prof. Joachim von Braun die Lage ein. Konkrete Auswirkungen auf die Volkswirtschaft gebe es zum Beispiel dadurch, dass jetzt eigentlich Erntezeit ist: »Mais- und Reisernte in Liberia, Sierra Leone und Guinea. Da müssten viele Tausend Menschen auf die Felder und bewegen sich von einer Region in die andere. Die Lebensmittel müssen in die Städte - das scheitert an den Straßensperren. So brechen die Märkte zusammen«, so der Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn im Inforadio. Lob findet Braun nur für die USA und Kuba: Die WHO habe viel zu spät reagiert. Deshalb sei zu begrüßen, dass die USA und auch Kuba in großem Stil Ärzte und Hilfspersonal entsenden - »und Deutschland sollte das auch tun. (...) Alle Ressourcen müssen mobilisiert werden.«

Von großem Stil ist bei Deutschlands Hilfsengagement nichts zu sehen: Zwar hat die Bundesregierung auf den Hilferuf der liberianischen Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf unter anderem an Deutschland reagiert und am Mittwoch Unterstützung für Hilfsorganisationen sowie bei Flugtransporten in die Region angekündigt, doch bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die bereits von der Bundesregierung unterstützt wird, erntete die Ansage aus Berlin Kritik: »Deutschland wird seiner Verantwortung damit in keinster Weise gerecht. Die geplante Krankenstation ohne qualifiziertes Personal wird wirkungslos bleiben und niemandem in Westafrika helfen. Wenn es eine Chance geben soll, Ebola einzudämmen, brauchen die betroffenen Länder gerade Unterstützung durch entsprechend ausgebildetes Personal. Ohne dieses ist eine Krankenstation nicht mehr als eine Attrappe«, so Geschäftsführer Florian Westphal.

Niema Movassat pflichtet ihm bei: »Es ist beschämend, was Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt bezüglich der Ebola-Epidemie leistet. Die vielbeschworene gewachsene internationale Verantwortung Deutschlands gilt für Schwarz-Rot immer nur, wenn es um Waffenlieferungen und Militäreinsätze geht.« Soldaten zu schicken wie die USA sieht der Entwicklungspolitiker der LINKEN gegenüber »nd« kritisch: »Nun erschallt der Ruf nach Entsendung der Bundeswehr. Dabei wäre es entscheidend, dass die Bundesregierung alles tut, um zivile HelferInnen zu mobilisieren, u.a. mit der Sicherheitsgarantie, sie im Fall der Ansteckung rauszufliegen nach Deutschland.«

Die UNO und die Weltgesundheitsorganisation haben den Ernst der Lage inzwischen erkannt. Das zeigt nicht nur die anberaumte Sitzung des Weltsicherheitsrates zum eigentlich sachfremden Thema Ebola, sondern auch der internationale Aktionsplan, den UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und die Direktorin der Weltgesundheitsorganisation, Margaret Chan, am Donnerstag vor dem Weltsicherheitsrat vorstellten. Die UN brauchten eine Milliarde US-Dollar für den Kampf gegen die tödliche Krankheit. Erst ein Drittel ist bisher zugesagt und das Zeitfenster schließt sich. Greifen die Maßnahmen nicht schnell, werden gar die Prognosen von 20 000 bis 100 000 Infizierten wahr, dann droht eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes: Bisher ist laut WHO jeder Zweite der offiziell an Ebola Erkrankten gestorben.

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