Schlechtere Finanzierung, geringere Gehälter?

Für den GEW-Hochschulexperten Andreas Keller ist die Unterfinanzierung der Universitäten ein Grund für den Trend zu Dumping-Löhnen in der Wissenschaft

  • Lesedauer: 4 Min.

Lehrbeauftragte an Universitäten und Hochschulen würden »skandalös unterbezahlt«, heißt es im Aufruf zum heutigen bundesweiten Aktionstag der Lehrbeauftragten. Wie dramatisch ist die Situation aus Ihrer Sicht?

Ich benutze den Begriff »prekär« nur sehr zurückhaltend, aber auf die Situation der Lehrbeauftragten trifft er exakt zu. Lehrbeauftragte haben ja nicht einmal Arbeitsverträge, sondern werden stundenweise wie Tagelöhner bezahlt.

In den Vergütungsrichtlinien der Hochschulen ist von 40, ja von bis zu 60 Euro und mehr pro Unterrichtsstunde die Regel. Wenig ist das nicht.

Die Regel sind solche Stundensätze allerdings nicht. Im Schnitt werden nicht mehr als 20 bis 30 Euro pro Unterrichtsstunde gezahlt. Man muss berücksichtigen, dass darin weder Vor- und Nachbereitungszeiten noch der Aufwand für Klausurkorrekturen enthalten sind. Im Krankheitsfall und in der vorlesungsfreien Zeit erhalten sie keinen Cent. Der Arbeitgeber zahlt weder in die Renten- und Arbeitslosen-, noch in die Kranken- und Pflegeversicherung ein. In vielen Fällen liegen die tatsächlichen Stundenlöhne deutlich unter 8,50 Euro. Früher galt die Tätigkeit des Lehrbeauftragten als typischer Nebenerwerb, die Vergütung als Aufwandsentschädigung für Richter, Architektinnen oder Betriebswirte, die einen auskömmlichen Beruf haben und Praxiserfahrung in die Hochschullehre bringen. Heute versuchen sich immer mehr Betroffene, mit Lehraufträgen über Wasser zu halten, was aber mehr schlecht als recht funktioniert..

Auf diese Entwicklung angesprochen, verweisen die Hochschulen auf die Verantwortung der Politik, die die universitäre Lehre zu schlecht finanziert.

Zweifellos muss die Politik für eine verlässliche Grundfinanzierung der Hochschulen sorgen. Verantwortung tragen aber auch die Hochschulen, die einen wachsenden Anteil der Pflichtlehre mit Lehraufträgen abdecken und sich weigern, Mindeststandards für Lehrbeauftragte zu garantieren.

Welchen Anteil hat die Abhängigkeit von der Drittmittelfinanzierung, also von den Geldern, die aus dem Etat der Hochschule bzw. der zuständigen Ministerien stammen, an der prekären Situation der Lehrbeauftragten?

Lehraufträge werden über Drittmittel zwar nicht finanziert, da diese in die Forschung fließen. Dennoch gibt es einen Zusammenhang. Der Anteil der Drittmittelfinanzierung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der weit überwiegende Teil dieser Gelder kommt nicht etwa aus der Wirtschaft, sondern stammt aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder aus der Exzellenzinitiative, die von Bund und Ländern finanziert werden. Diese Verlagerung der staatlichen Finanzströme von der Grundfinanzierung zur Drittmittelfinanzierung führt dazu, dass die Hochschulen immer weniger Geld für die Lehre und immer weniger langfristig planbare, regelmäßige Zuschüsse erhalten. Lehrbeauftragte als Dumping-Lehrkräfte erscheinen da als bequemer Ausweg.

Es gibt kaum verlässliche Zahlen darüber, wie hoch bzw. niedrig die Einkünfte der Lehrbeauftragten tatsächlich sind. Woran liegt das?

Zum einen haben die Hochschulen kein Interesse daran, die Zahlen öffentlich zu machen. Lehraufträge werden als sogenannte Sachmittel geführt. Man weiß dann zwar, wie viel Geld eine Hochschule für Lehraufträge ausgibt. Wie viele Lehrbeauftragte beschäftigt werden und nach welchen Stundensätzen sie bezahlt werden, kann daraus aber nicht direkt abgeleitet werden.

Besitzt Deutschland mit seinen prekär beschäftigten Lehrbeauftragten im Vergleich zum europäischen Ausland eine Sonderrolle oder gibt es in anderen EU-Staaten ähnliche Entwicklungen?

Die Figur des Lehrbeauftragten ist im europäischen Ausland schwer zu erklären, weil es diese Form Lehrkraft dort nicht gibt. Andere Länder kennen teilzeitbeschäftigte Lehrende oder Lehrassistenten. Aber Lehrenden, die nicht einmal einen Arbeitsvertrag bekommen und auch über ihre Einstellungsbedingungen nicht verhandeln können, weil der Lehrauftrag als hoheitlicher Akt gilt - das ist eine deutsche Besonderheit. Auch in Deutschland sollten die Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen endlich normalisiert werden. Die GEW fordert, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Lehraufträge in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden.

Wie haben Politik und Hochschulen auf diese Forderungen reagiert?

Mit dem »Templiner Manifest« hat die GEW 2010 eine umfassende Kampagne für eine Reform gestartet. Verbesserungen zeichnen sich mittlerweile bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern ab. Bei den Lehrbeauftragten beißen wir aber sowohl bei der Hochschulrektorenkonferenz als auch bei der Politik auf Granit. Lediglich Brandenburg hat vor kurzem im Zuge der Novellierung des Hochschulgesetzes versucht, die Probleme der Lehrbeauftragten aufzugreifen.

Mit welchem Ergebnis?

Das Hochschulgesetz sieht vor, dass Lehraufträge für maximal vier Unterrichtsstunden pro Woche und längstens für zwei Semester vergeben werden dürfen. Das ist gut gemeint, kann aber im Ergebnis die prekäre Lage der einzelnen Lehrbeauftragten verschlechtern. Besser wäre es gewesen, den Anteil von Lehraufträgen an der Pflichtlehre einer Hochschule zu begrenzen, den einzelnen Lehrbeauftragten aber bessere Perspektiven zu geben.

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