Dieter Grande, Dompfarrer

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Das Ende der DDR war eine ziemlich kirchliche Angelegenheit: Oppositionelle trafen sich in Kirchen, Theologen gründeten eine sozialdemokratische Partei, Pfarrer vermittelten zwischen absterbender Staatspartei und friedlicher Revolution.

Kein Wunder also, dass auch am Zentralen Runden Tisch Kirchenleute eine wichtige Rolle spielten - zum Beispiel als Moderatoren. Auch die Pressesprecher dieses demokratischen Experiments, das die Arbeit der Modrow-Regierung stark beeinflusste, waren Geistliche: unter ihnen Dieter Grande.

Der Runde Tisch war so etwas wie die Verkörperung eines Bedürfnisses, das unabhängig von den nun neuen politischen Farben existierte: eine andere Form des Umgangs zu pflegen, wirklich miteinander zu reden, wenigstens zu versuchen, Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Erstmals tagte er am 7. Dezember 1989 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin, bis zum 12. März 1990 traf man sich 16 Mal - um nichts Geringeres zu diskutieren als die politische Neuordnung der DDR.

Was blieb vom Runden Tisch? Im Rückblick tritt wie eine immer noch offene Wunde zutage, dass eine Arbeitsgruppe des Runden Tisches zwar einen Entwurf einer neuen Verfassung erarbeitete, in dem unter anderem ein Recht auf Arbeit verankert war - die im März 1990 neugewählte Volkskammer diesen Entwurf dann aber nicht weiter behandelte.

Grande, geboren 1930 in Wałbrzych im heutige Polen, war später in die DDR gekommen, was er nie bereut hat. Er studierte Katholische Theologie in Münster und Erfurt, wurde Priester in Neuzelle und wirkte später unter anderem in Karl-Marx-Stadt und Leipzig, wo er ab 1986 Dompfarrer an der Katholischen Hofkirche war. Für das Sprecheramt am Runden Tisch war Grande aber nicht nur als Kirchenmann qualifiziert - bereits seit 1988 war er Pressesprecher der Berliner Bischofskonferenz.

In Erinnerung blieb Monsignore Grande unter anderem mit seiner an Exaktheit kaum zu überbietenden Aussprache. Und durch seinen Auftritt am 8. Dezember 1989: Er verlas vor den Medien die Forderung des Zentralen Runden Tisches an die Regierung der DDR, »das Amt für Nationale Sicherheit unter ziviler Kontrolle aufzulösen und die berufliche Eingliederung der ausscheidenden Mitarbeiter zu sichern. Über die Gewährleistung der eventuell notwendigen Dienste im Sicherheitsbereich soll die Regierung die Öffentlichkeit informieren.«

Dass die Sprecheraufgabe für ihn recht gut mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche zusammenpasste, gab Grande weit nach der Wende einmal zu Protokoll: »Zu Menschen sprechen, ihnen etwas mit auf den Weg geben und womöglich eine Rückmeldung erfahren, das erfüllt mich mit Freude.« Mindestens genauso wie seine Leidenschaft für Musik und kabarettistische Vorstellungen, der unter anderem Bands ihre Gründung verdankten. 1987 führte er sogar bei einem Auftritt der »ex caritate« selbst Regie: für das religiöse Musical »Noah unterm Regenbogen«.

Nach 1990 widmete sich Grande der Aufarbeitung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der DDR: unter anderem in einer zeitgeschichtlichen Kommission. Zusammen mit Bernd Schäfer entstand dabei unter anderem das Buch »Kirche im Visier - SED, Staatssicherheit und Katholische Kirche in der DDR«. Von 1992 bis 1995 leitete er das Katholische Büro beim Freistaat Sachsen - wenn man so will: Lobbyarbeit im Namen des Herrn. Grande hat sich dabei nie geschont, musste Krankenheiten überstehen, wieder neu anfangen. Einer Katholischen Wochenzeitung gegenüber sagte er einmal, er würde alles noch einmal machen - aber einiges etwas lockerer angehen. vk

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