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Rückwärts über die Rail

Die 18-jährige Lisa Zimmermann wird in Österreich Weltmeisterin im Ski-Slopestyle

In Kreischberg hat die Bayerin Lisa Zimmermann die erste deutsche Goldmedaille der Freestyle-WM errungen. Dabei ging der erste Lauf völlig daneben.

Im Ziel lachen Slopestyler eigentlich immer. Egal, ob sie gerade einen Traumlauf hingelegt haben oder böse auf dem Hintern gelandet sind. Slopestyler - das sind diese Akrobaten, die bei Olympia über riesige Matrjoschkas hüpften, auf Geländern entlangrutschen und sich von angsteinflößenden Schanzen in die Höhe katapultieren lassen, um nach unzähligen Salti und Schrauben wieder sicher zu landen. Auf Ski wohlgemerkt. Kein Sport für Angsthasen, so viel steht fest. Und kein Sport für Miesepeter, denn im Selbstverständnis der Slopestyler sind Resultate unwichtig, der Spaß steht im Vordergrund. Lisa Zimmermann sieht man den nach ihrem ersten Finallauf der WM in Kreischberg nicht an. Kein Lächeln. Sie ist Letzte. Eine halbe Stunde später jubelt sie dann doch noch, denn die erst 18-Jährige darf sich von nun an Freestyle-Weltmeisterin nennen.

Die Enttäuschung, die Zimmermann nach dem ersten verpatzten Lauf zeigt, mag fälschlicherweise nahelegen, dass im Slopestyle eine neue Generation das Ruder übernehme. Eine Generation, die doch eher auf Medaillen als auf coole Looks Wert legt. Doch auf die junge Frau vom WSV Oberaudorf passt diese Beschreibung nicht. Vor weniger als einem Jahr sah sie Norwegens Olympiahoffnung Tiril Sjaastad Christiansen mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Auslauf der Olympiaanlage von Sotschi humpeln. Christiansen hatte trotz eines gerissenen Kreuzbandes unbedingt antreten wollen, konnte dort aber schon im Training nicht mehr laufen vor Schmerz. »Ich würde schon bei kleineren Verletzungen meine Gesundheit nie so aufs Spiel setzen. Da würde ich auf Olympia verzichten«, sagte Zimmermann damals gegenüber »nd«. Siege um jeden Preis gibt es mit ihr nicht.

Siege an sich aber schon. Zimmermann hat am Mittwoch in der Steiermark zwar im ersten Durchgang die oberste Rail - wie jene Geländer in dieser Sportart bezeichnet werden - fast komplett verpasst, und bei der Landung des letzten »900« unglücklich einen Ski verloren, doch zum Glück gibt es ja einen zweiten Lauf. Die Bayerin versucht die gleichen Tricks einfach noch mal und steht sie alle - auch diese Zweieinhalbschraube am Schluss, bei der sie die Ski hinter dem Rücken kreuzt mit einer Hand danach greift und schließlich rückwärts landet. Prompt werden aus 39 Punkten 85,5. Und da nur der beste Lauf zählt, wird aus Platz fünf nun Rang eins.

Zimmermann war schon in Sotschi Mitfavoritin. Damals stürzte sie im ersten Qualifikationsdurchgang und verpatzte danach auch noch den zweiten. Dass sie ein Jahr später gefestigter ist, zeigte schon ihre Leistung in der WM-Qualifikation, die sie mit 87,8 Punkten als Siegerin abschloss. Das brachte ihr die Nummer 1 auf dem Leibchen. Offenbar keine Bürde, denn die steht nach dem Finale auch in der Ergebnisliste neben ihrem Namen.

Als ehemalige Eiskunstläuferin hat Zimmermann ihren Kontrahentinnen bei schnellen Drehungen auf rutschigem Untergrund viel voraus. Das enge rosa Kleidchen wollte sie irgendwann nicht mehr. Nun trägt sie eine weite graue Snowboardjacke über der tiefhängenden schwarzen Schlabberhose. Die Haare fliegen offen durch die Luft und nach Stürzen gibt es keine Standpauke vom Trainer.

Kurz vor Zimmermanns drittem Finallauf hat nur noch Katie Summerhayes die Chance, die Deutsche zu verdrängen. Letztere konzentriert sich während des Laufs der Britin ausnahmsweise mal nicht auf ihren eigenen und steht stattdessen im Zelt hinter dem Start, um auf dem Ergebnismonitor als Erste zu lesen, dass sie Gold behalten darf. Danach trottet sie nach vorn und posiert erst mal für das erste Siegerfoto ihres Trainers. Irgendwann nimmt sie doch die kurzen Kinderstöcke in die Hand und fährt los. Es folgen nur noch Showsprünge: Hauptsache hoch und nicht mehr schwierig. Die Knochen sollen ja heil bleiben für die Feier danach.

Über der letzten Rampe, die ihr in Lauf eins noch zum Verhängnis geworden war klatscht sie nun im Flug zweimal in die Hände. Die Fans lieben so etwas. Auch die kümmert der Sport nicht sonderlich viel, der Spaß steht ja im Vordergrund. Die Gegnerinnen, die im Slopestyle Freundinnen heißen, umarmen die neue Weltmeisterin, die nun endlich auch selbst wieder lachen kann. Selbst die Punktrichter feiern mit und vergeben unisono 40 Punkte, obwohl nicht eine Drehung zu sehen war. Ist doch egal. Hauptsache alle haben Spaß!

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