Die Schaufensterdebatte
Wieder wird über die Vorratsdatenspeicherung gestritten - inoffiziell gibt es sie längst
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist bislang eine große Ausnahme auf dem Gebiet der »Inneren Sicherheit«: Es handelt sich um einen der ganz wenigen Fälle, in denen eine mehrfach vorgeschlagene und öffentlich breit diskutierte Überwachungsmaßnahme, die technisch möglich wäre, nicht auch tatsächlich umgesetzt wird - zumindest nicht offiziell und per Gesetz. Bereits angedachte Regelungen auf nationaler wie europäischer Ebene waren vom Bundesverfassungsgericht sowie vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen Unverhältnismäßigkeit zu Fall gebracht worden.
Nun aber berichten Medien von einem neuen Vorstoß in der Bundesrepublik. Der »Spiegel« brachte am Wochenende eine Geschichte, der zufolge die Bundesregierung einen deutschen »Alleingang« in Richtung Vorratsdatenspeicherung plane; das Innenministerium von Thomas de Maizière (CDU) sowie das Justizministerium von Heiko Maas (SPD) stünden in entsprechenden Gesprächen. Zahlreiche Medien strickten die Geschichte weiter.
Maas sah sich bereits genötigt, dieser Darstellung via »Süddeutsche Zeitung« zu widersprechen: Es gebe zwar Gespräche mit dem Innenministerium, doch liefen die bereits seit einem Jahr und hätten keinen neuen Stand ergeben; vielmehr bemühe man sich um eine Auskunft der EU-Kommission, ob überhaupt und wann womöglich eine Neufassung jener vom EuGH vor Jahresfrist gekippten Richtlinie geplant sei. Erst dann wolle man weiter über eine deutsche Ausgestaltung debattieren - doch halte Brüssel die Füße still.
Was von beidem ist nun richtig? Führt hier die Union, die seit den terroristischen Anschlägen von Paris und Kopenhagen wieder auf die Vorratsdatenspeicherung dringt, eine Schaufensterdebatte? Die Oppositionsparteien im Bundestag sowie auch die SPD-Fraktion haben einem etwaigen Vorstoß zumindest präventiv widersprochen: Sollte es solche Pläne geben, »wäre das nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt«, sagte der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner der »taz«, Grünenfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt wandte sich in der »Welt« gegen eine Politik des »Generalverdachts«, der LINKE-Politiker Jan Korte erklärte, eine Vorratsdatenspeicherung sei »unverhältnismäßig, unbrauchbar und unvereinbar mit Grundrechten«, ein »verfassungsgemäßes Comeback« einer solchen Regelung werde es nicht geben.
Wiederaufgeflammt war die Debatte um eine Verpflichtung von Kommunikationsanbietern, Verbindungsdaten ihrer Nutzer ein Jahr lang zu speichern und im Bedarfsfall Ermittlern zur Verfügung zu stellen, nach den terroristischen Anschlägen zu Jahresbeginn. Kritiker betonen, gerade der Angriff auf »Charlie Hebdo« zeige, dass die Datensammlung solche Anschläge offenbar nicht verhindere. In Frankreich wurde 2006 auf Basis jener EU-Richtlinie, die im vergangenen Jahr gekippt wurde, die Vorratsdatenspeicherung zur Terrorbekämpfung beschlossen. Bislang hat Paris keine Konsequenzen aus dem vernichtenden EuGH-Spruch gezogen. Daher fordert nun Korte gegenüber »nd«, EU-Digitalkommissar Günther Oettinger müsse »Druck auf Frankreich und andere Staaten machen, die weiter an der Vorratsdatenspeicherung festhalten«.
Korte verweist darauf, dass auch hierzulande eine inoffizielle Datenspeicherung Praxis ist. Aus freien Stücken speichern viele Anbieter Kontaktdaten teils über Monate, Ermittler können gerichtlich Zugriff darauf erhalten. Korte nennt dies »staatlich geduldeten Missbrauch von Kommunikationsdaten«. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) müsse dafür sorgen, »dass die Datenlöschung, wie es das Gesetz vorschreibt, mit dem Verbindungsende erfolgt und nicht erst irgendwann.«
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