Ironisch und todernst

Künstlerische Aneignungen von Picasso und seinem Werk in den Deichtorhallen Hamburg

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie geht man mit Idolen um? Anhimmeln? Vom Sockel stoßen? Nacheifern? Zu diesem zentralen Thema steuern die Hamburger Deichtorhallen eine Ausstellung mit einer ganzen Bandbreite an Antworten bei.

Wie geht man mit Idolen um? Anhimmeln? Vom Sockel stoßen? Nacheifern? Zu diesem zentralen Thema der globalisierten Mediengesellschaft steuern die Hamburger Deichtorhallen eine Ausstellung mit einer ganzen Bandbreite an Antworten bei. In deren Zentrum befindet sich der Malerfürst Pablo Picasso. 90 Kollegen, die sich an ihm abgearbeitet haben, sind in der Ausstellung »Picasso in der Kunst der Gegenwart« vereint. Die meisten sind weitaus weniger berühmt als er; zwei Handvoll unter ihnen - etwa Paul Klee, Andy Warhol, Sigmar Polke, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Martin Kippenberger oder Cindy Sherman - haben aber durchaus einen eigenen Platz auf dem Künstlerolymp ergattert.

Die vorherrschende Spielart unter den Kollegen ist Ironie. Ironie gegenüber dem Idol Picasso wie gegenüber seinen ikonisierten Werken. Bereits in den 30er Jahren übernimmt Paul Klee in einer simplen Bleistiftzeichnung die kubistische Formensprache Picassos und fertigt daraus ein Porträt mit dem Titel »Spanier«. Kippenberger nimmt ein knappes halbes Jahrhundert später ein Foto von Picasso, das diesen zwar in Unterhose und mit nur übergeworfenem Bademantel, aber in stolzer Positur mit brav stehendem Hund zeigt, zum Vorbild, um sich selbst in ähnlich privaten Posen zu inszenieren. Claes Oldenburg verwandelt eine monumentale Stahlskulptur, die nach Entwürfen Picassos hergestellt und auf der Civic Plaza in Chicago als das Stadtbild bestimmendes Großobjekt installiert wurde, in ein schlaff hängendes textiles Objekt mit ähnlichen Formen. Seine Aktion löste einen interessanten Diskurs über geistiges Eigentum aus. Die Stadt Chicago strengte einen Rechtsstreit über das Copyright am Werk an. Sie verlor ihn, zum Glück nicht nur für diese Ausstellung.

Direkt auf die Vermarktungsmechanismen mit Picasso und dessen Kunst weist Maurizio Cattelan hin. Der italienische Künstler fertigte noch im letzten Jahrhundert für eine Show im New Yorker Museum of Modern Art eine überlebensgroße Picasso-Puppe an, in die ein Schauspieler schlüpfen und so wie eine Disneyfigur um Aufmerksamkeit werben konnte.

Picasso wird von den Kollegen aber durchaus auch ernst genommen. Ein Schlüsselwerk der Ausstellung ist Roy Lichtensteins »Reflections on ›The Artist’s Studio‹«. Hier transformiert er Picassos Werk »L’Atelier« in seine großflächige Farbfeldmalerei. Sigmar Polke stellt in seiner Pixelmalerei langbeinige junge Frauen dar, die an Picassos »Demoiselles d’Avignon« erinnern. Andy Warhol, so zeigt sich, benutzte für seine seriellen Arbeiten nicht nur Abbildungen von Tomatendosen oder Marilyn-Monroe-Porträts. Er ließ sich auch von Picassos Bilderreihe »Tetes« inspirieren und fertigte nach deren Vorbild seine Siebdruckreihe »Heads After Picasso«.

Die formal ambitionierteste Arbeit in diesem Aneignungskanon stammt vom Künstlerduo Art & Language, das in der Dripping-Technik von Jackson Pollock Picassos »Guernica« nachstellte. Mitunter, wenn sich die Augen ganz besonders fokussiert haben, glaubt man tatsächlich, die Umrisse der Originalfiguren zu erkennen.

Überhaupt nimmt »Guernica«, diese meisterliche Auseinandersetzung mit den Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs, eine zentrale Position in der Abarbeitung an und mit Picasso ein. Der irakisch-englische Künstler Dia Al-Azzawi übertrug das Kriegsthema sowie Formen und Dimensionen von Picassos Vorbild auf seine Darstellung des Massakers in Sabra und Chatila. Der New Yorker Robert Longo hingegen lässt schwarze Balken über die »Guernica«-Bildwand ziehen und schafft so Leerstellen und »Blackouts«.

Die komplexeste Aneignung stammt indes von der in London lebenden polnischen Künstlerin Goshka Macuga. Sie beschäftigt sich mit der Wirkungsgeschichte des Werks. Auf einem runden Konferenztisch sind etwa Dokumente von der Weltausstellung 1937 zu sehen, wo eben nicht nur »Guernica« ausgestellt war, sondern auch deutsche Monumentaladler aus Stein und Helden des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion. Macuga erinnert in diesem Konferenz-Setting auch daran, dass 2003 ein Teppich, der »Guernica« annähernd im Originalmaß zeigt und der nach einer Schenkung durch den ursprünglichen Auftraggeber Nelson Rockefeller im Foyer des UN-Sicherheitsrats hängt, ausgerechnet zu der den Irakkrieg begründenden Rede des damaligen US-Außenminister Colin Powell verhüllt wurde. Powells Beratern schienen die von Picasso dargestellten Kriegsgräuel nicht als geeignetes Ornament für die mit offensichtlichen Lügen gespickte verbale Einstimmung auf den nächsten großen Krieg.

Nicht alle Arbeiten in dieser Ausstellung sind aus sich heraus stark. Aber sie zeigen doch, dass Picasso auch jenseits der Verwurstung auf Kaffeetassen, T-Shirts und Kalendern noch Einfluss auf schöpferische Tätigkeiten hatte. Die Großausstellung feiert zugleich die nach anderthalb Jahren endlich abgeschlossene Renovierung der Deichtorhallen. Der frühere Zustand mit löchrigem Dach hätte Leihgaben von Lichtenstein oder Polke sicherlich kaum erlaubt.

Bis 12. Juli, Di-So, 11-18 Uhr; jeden ersten Donnerstag im Monat 11-21 Uhr (außer an Feiertagen)

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