Schattenbericht zu Flucht und Asyl

Initiativen legen in Broschüre ihre Sicht auf relevante Entwicklungen in Berlin im Jahr 2014 dar

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Das vergangene Jahr stand in Berlin ganz im Zeichen des Kampfes von Flüchtlingen und ihren Unterstützern. Im jährlich erscheinenden »Schattenbericht« ist das Thema der inhaltliche Schwerpunkt.

Die »Berliner Zustände« sind mittlerweile eine Institution. Einmal im Jahr erscheint die auch »Schattenbericht« genannte Broschüre, die von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) und dem Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) herausgegeben wird. Inzwischen ist die Auflage auf über 1500 Exemplare gestiegen. Auf 110 Seiten legen die in Berlin aktiven Initiativen ihre Sicht auf die relevanten Entwicklungen in den Bereichen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus dar. »Der Schattenbericht ist eine Plattform geworden, die eigene Arbeit und die Probleme, die es gibt, darzustellen«, sagt Ulli Jentsch vom apabiz dem »nd«. In der Schrift, betont Jentsch, können die Initiativen auch ihre Kritik darlegen, inwiefern ihre Arbeit politisch konterkariert werde.

Wie widersprüchlich das Verhältnis von Senat und Initiativen sein kann, untermauert beispielhaft der diesjährige Schwerpunkt zu »Geflüchteten in Berlin«. Einerseits werden ehrenamtliche Unterstützer von Flüchtlingen vom Staat öffentlich mit Preisen überhäuft. Anderseits zieht sich der Senat zugleich immer mehr aus der politischen und sozialen Verantwortung für die Asylsuchenden zurück. Viele Organisationen bekommen erst gar keine Förderung. Dabei sind es die vielerorts in Berlin entstandenen »Willkommensinitiativen«, die in den Medien nur selten eine Rolle spielen, die die Flüchtlinge aber als freiwillige »Lückenfüller« täglich unterstützen. Beim Deutsch-Lernen, als Begleiter bei Behördengängen oder als Sozial- und Rechtsberater. Die gut vernetzten Initiativen vermitteln darüber hinaus Kita- und Schulplätze sowie Wohnungen.

Im Schattenbericht diskutieren Hanna Schuh und Elène Misbach vom »Medibüro Berlin«, das Illegalisierte, Flüchtlinge und EU-Bürger bei medizinischen Problemen unterstützt, die »Fallstricke« und »Widersprüche« der Solidaritätsarbeit. Titel des Textes: »Es ist uns keine Ehre«. Ziel müsse es sein, heißt es darin, »die politischen Bedingungen zu verändern, die unsere Arbeit - die Organisation einer notgedrungen unzureichenden medizinischen Versorgung - notwendig machen«.

Zu den politischen Bedingungen des Jahres 2014 in Berlin zählte sicherlich auch die Instrumentalisierung der Themen Flucht und Asyl durch Gruppen und Organisationen der extremen Rechten. Die Entwicklungen in diesem Bereich sind seit Beginn an Beobachtungsgegenstand des »Schattenberichts«. »Die engere Nazi-Szene hat durch die Mobilisierung in den Randbezirken bei den Themen Geflüchteten-Unterbringung und Containerdörfer relativ viele Leute mit ihrer Propaganda erreicht«, hat Ulli Jentsch vom apabiz beobachtet. Die Versuche, die vorhandenen Proteste auf ihre Mühlen umzulenken, stellen weiter eine »große Gefahr« dar.

Darüber hinaus versuchten die Rechtsextremisten aus der NPD und den sogenannten Freien Kameradschaften aber auch, sich an Phänomene wie Pegida ranzuhängen. Bei Bärgida, wie die Aufmärsche in Berlin heißen, finden sich allerdings auch personelle Zusammenhänge wieder, die antifaschistische Beobachter aus anderen Gruppierungen kennen. Ähnliches gilt für die Hetze gegen Flüchtlinge. »Da haben sich teilweise alte rechtsextreme Kader wieder aktivieren lassen«, sagt Jentsch. Ohne das »Pegida-Moment« hätte es seiner Einschätzung nach wahrscheinlich keine »wahrnehmbaren Aktivitäten« der Nazis in Berlin gegeben.

Wie gefährlich die Mischung aus Alltagsrassisten und Rechtsextremisten ist, belegt die Chronik der Opferberatung »Reach Out«, die ebenfalls in der Broschüre dokumentiert wird. Demnach sank die Zahl der registrierten Gewalttaten im Jahr 2014 zwar auf 179 ab (2013: 185). Auch die Zahl der verletzten Personen ging von 288 auf 266 Menschen leicht zurück. Im gleichen Zeitraum stieg aber die Zahl der rassistisch motivierten Attacken von 87 auf 100 an. »Dazu zählen auch immer mehr Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen und in deren Umgebung«, sagt Sabine Hammer von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Eine bedrohliche Entwicklung, das ist bereits absehbar, die auch im kommenden Jahr ein Schwerpunkt des »Schattenberichts« bleiben dürfte. Dann erscheint die Broschüre bereits zum zehnten Mal. Ein Erfolg, den sich die Herausgeber 2006 zu Beginn des Projekts sicher nicht hätten vorstellen können. www.mbr-berlin.de

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