Rückkehr der »Rassenkunde«
Tom Strohschneider über die neue Eskalationsstufe der Griechenland-Diffamierung
Vor ein paar Tagen hat Wolfgang Schäuble erklärt, man werde sich in Sachen Griechenland nicht an gegenseitigen Schuldzuweisungen beteiligen. Um umgehend Schuld zuzuweisen: Es sei nämlich SYRIZA gewesen, die mit dem »blame game« angefangen habe. »Wir wären schön blöd«, sagt Wolfgang Schäuble, »wenn wir uns darauf einlassen würden.«
Ob der CDU-Minister sich hier »schön blöd« stellt? Kann ja sein, dass er weder die Zeitungen liest, in denen von den »faulen Griechen« seit Beginn der Eurokrise die Rede ist, noch sonst das öffentlich präsente Zerrbild zur Kenntnis nimmt, das von Griechenland gezeichnet wird. Unter tatkräftiger Beteiligung von Politikern natürlich. Und von Zeitungen.
Jetzt hat die »Welt« das »blame game« auf eine neue Spitze getrieben: Die Griechen seien »eine türkisch überformte Mischung aus Slawen, Byzantinern und Albanern«, und nicht die Nachfolger von Perikles – was »das gebildete Europa« leider nicht mitbekommen habe, weshalb nun Athen im Euro sitzt, jenes Griechenland, das 1827 (!) »schon einmal Europas Ordnung« zerstörte.
Es ist anno 2015 hierzulande wieder möglich, in einem der »führenden« Blätter per feuilletonistischer »Rassenkunde« gegen eine ganze Bevölkerung Front zu machen, ohne dass ein hörbarer Sturm der Entrüstung losbricht. Das bloß »schön blöd« zu nennen, wäre fahrlässige Beschönigung.
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