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Überwachungswunderwaffe

Auch gewalttätige Fans oder rabiate Ehemänner könnten schon bald per Funktechnik beschattet werden

Als Kontrollinstrument für Schwerverbrecher ist die elektronische Fußfessel umstritten - es haben sich bereits mehrere Pannen ereignet. Trotzdem gibt es Befürworter, die die Technik ausweiten wollen.

Die Fußfessel ist eigentlich eine Funkfessel. Jederzeit lässt sich damit der Aufenthaltsort von besendeten Personen überwachen. Es gibt viele Ideen, wie eine solche Aufenthaltsüberwachung eingesetzt werden könnte. Vielen haftet noch immer Futuristisches an, obwohl die Sendertechnik bereits seit fast drei Jahrzehnten auf dem Markt ist. Es kursieren Vorschläge, sie in der Viehhaltung zu benutzen, wo sie die Hirten auf den Weiden unterstützen könnte. Oder Alzheimerpatienten könnten mit der Technik ausgerüstet werden, die sie davor bewahren soll, sich unheilvoll zu verirren.

In Ländern wie Frankreich, Spanien oder den USA wird das »elektronische Monitoring«, wie der Vorgang in der Fachwelt korrekt bezeichnet wird, bereits tausendfach bei Straftätern angewendet. In Deutschland dagegen herrscht große Skepsis; der Einsatz der Technik hinkt deshalb den Möglichkeiten hinterher. Derzeit tragen lediglich 55 Menschen eine elektronische Fußfessel, zumeist sind dies entlassene Schwerverbrecher, bei denen es keine rechtliche Handhabe für eine längere Haft gibt. Aber möglicherweise wird es nicht mehr lange dauern, bis die Fußfessel auch in hierzulande häufiger eingesetzt wird.

Rechtspolitiker der CDU haben nämlich einen Vorstoß gestartet, die elektronische Aufenthaltsüberwachung auszuweiten. Ausgangspunkt war das schwarz-rot regierte Mecklenburg-Vorpommern, wo Justizministerin Uta-Maria Kuder unlängst forderte, die Fußfessel auch bei Hooligans anzuwenden. »Damit wird ein Fernbleiben von gewalttätigen Rädelsführern aus dem Stadion kontrollierbar«, erklärte die Christdemokratin.

Anklang fand dieser Vorschlag in Hessen. Auf der am Mittwoch begonnenen Frühjahrskonferenz der Justizminister von Bund und Ländern hat die hessische Ressortleiterin Eva Kühne-Hörmann (CDU) beantragt, weitere Einsatzfelder der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zu prüfen. »Darunter können Maßnahmen zur Vermeidung von häuslicher Gewalt sowie zur Verhinderung von Ausschreitungen bei Fußballspielen, aber auch alternative Sanktionsformen etwa im Jugendstrafrecht sein«, so die Ministerin. Aller Voraussicht nach wird es auf dem Treffen eine große Mehrheit für einen solchen Prüfantrag geben.

Halina Wawzyniak, die rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hält diesen Vorstoß für bedenklich. Sie kann sich einen Nutzen dieser Technik für die Gefahrenabwehr nicht vorstellen und lehnt daher den Einsatz gegen vermeintliche Gewalttäter ohne strafrechtliche Verurteilung prinzipiell ab. Das wäre eine »Totalüberwachung«, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar und in einer freien Gesellschaft zu tolerieren sei. Für Wawzyniak wäre dies ein Schritt hin zum Orwell’schen Überwachungsstaat.

Neben diesen Vorbehalten wegen des Datenschutzes haben auch mehrere technische Pannen zu großem Misstrauen gegenüber dieser unsichtbaren Überwachung geführt. So gelang es einem mutmaßlichen Salafisten aus Offenbach im Oktober 2014, sich trotz Fußfessel offenbar unbemerkt über die Türkei nach Syrien in den Bürgerkrieg abzusetzen. Wenige Monate zuvor hatte in Hamburg ein rückfallgefährdeter Sexualstraftäter gegen die richterliche Weisung verstoßen, eine funktionstüchtige Fußfessel zu tragen sowie keinen Alkohol zu trinken. Insgesamt verstieß der Mann 68 mal gegen die Auflagen; mehrmals lud er den Akku des Ortungsgerätes nicht auf. Es dauerte Wochen, bis die Justizbehörden reagierten und er wieder in Haft kam.

Nach diesem Vorfall erklärten die Grünen in der Hansestadt das Monitoring für unzuverlässig. »Gerade in Hamburg wissen wir, dass die Fußfessel keine hundertprozentige Sicherheit bedeutet«, sagt Carola Timm, justizpolitische Sprecherin der Hamburger Grünenfraktion. Nach den bisherigen Erfahrungen sollten Staatsanwaltschaft und Justiz sich künftige Fälle noch genauer ansehen, rät sie.

Grundlegende Kritik an der elektronischen Aufenthaltsüberwachung äußert auch der Rechtsanwalt Helfried Roubicek, wenn auch aus ganz anderen Erwägungen. Er vertritt zwei Mandanten, die gegen diese Technik Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben. Diesen Männern wurde, ebenso wie dem Straftäter aus Hamburg, die Fußfessel zur Bedingung für eine Freilassung gemacht. Roubicek sieht darin einen schwerwiegenden Eingriff in die Selbstbestimmung seiner Mandanten, die schließlich ihre Haftstrafe abgesessen hätten. Sie seien damit Bürger mit dem Recht auf freie Bewegung. Insbesondere schränke die Fußfessel bei der Arbeitssuche ein, was eine Resozialisierung erheblich erschwere, so seine Argumentation. Seit mehreren Jahren wartet der Anwalt auf eine Entscheidung der Verfassungsrichter aus Karlsruhe.

Eingeführt wurde die Fußfessel im Januar 2011, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einige Formen der Sicherungsverwahrung für Schwerkriminelle verboten hatte. Die von der Bundesregierung beschlossene Neuregelung ließ auch eine elektronische Aufenthaltsüberwachung zu.

Doch weder Anwendung noch Wirkung der Technik sind bislang hinreichend erforscht worden. Zwar hat das Bundesjustizministerium eine Studie bei der Universität Tübingen in Auftrag gegeben, doch steht eine wissenschaftliche Evaluation auch viereinhalb Jahre nach dem Start der elektronischen Fußfessel noch aus.

Auf die Veröffentlichung der Untersuchung wartet auch Irene Mihalic, die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. »Wir wissen einfach zu wenig über die Auswirkungen der elektronischen Überwachung, als dass wir die Technik bedenkenlos anwenden können«, erklärt sie. Dass mit der Fußfessel Straftaten verhindert werden können, hält sie für illusorisch. »Eine Ortserfassung alleine verhindert noch keine Übergriffe. Noch ist völlig unklar, was mit dem Einsatz der Technik erreicht werden soll«, rätselt sie.

Doch die Technik hat auch Befürworter. Der Kriminologe Tobias Müller-Monning, der in der Justizvollzugsanstalt Butzbach in Hessen als Gefängnisseelsorger arbeitet, hält die Fußfessel für eine mögliche Alternative zum Knast. Die Akzeptanz bei den Inhaftierten für ein solches Monitoring, das es im hessischen Strafrecht bereits seit 15 Jahren gibt, sei durchaus vorhanden, erzählt er. »Wenn die Gefangenen vor der Wahl stehen, entweder eine Freiheitsstrafe abzusitzen oder auf Bewährung mit einem solchen Peilsender raus zu können, dann entscheiden sich viele für die Hafterleichterung.« Sinn mache der Einsatz aber nur, wenn die Straftäter ein intaktes soziales Umfeld außerhalb der Gefängnismauer vorfänden, erklärt er. Dann könne das elektronische Monitoring ein Baustein für eine Resozialisierung sein.

Für eine Ausweitung der Fußfessel etwa auf Hooligans hat Müller-Monning ebenso wenig Verständnis wie Wawzyniak von der Linkspartei. »Das wäre ein freiheitsbegrenzender Akt, der einzig auf dem Verdacht fußt, die Leute könnten gewalttätig werden.« Der Kriminologe warnt davor, das Recht in einer solchen Form auszuhöhlen.

Der Hackerangriff auf den Bundestag wird auch bei der Justizministerkonferenz ein zentrales Thema sein. Die Ressortchefs der Länder wollen bei ihrem zweitägigen Treffen am Mittwoch und Donnerstag in Stuttgart darüber beraten, ob die bisherigen Strafgesetze im Kampf gegen Internetkriminalität ausreichen.

Sorge bereitet den Ministern zudem die steigende Zahl von Salafisten in Haftanstalten, die vermehrt versuchen, neue Anhänger hinter Gittern zu rekrutieren. Nur wenige Bundesländer gehen bislang systematisch gegen die Gefahr vor. Eine Hoffnung ruht auf dem Einsatz von Imamen, die als Seelsorger helfen könnten, eine Radikalisierung von inhaftierten Muslimen zu verhindern.

Auch mit der zentralen Ermittlungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg wird sich die Ministerrunde beschäftigen. Obwohl sich die Hauptaufgabe der Nazi-Jäger bald erledigt hat, weil die Beschuldigten aus der NS-Zeit hochbetagt sind, wollen die Justizminister die Einrichtung aller Voraussicht nach erhalten. Es gibt Pläne, die Behörde künftig als Erinnerungsstätte und Archiv zu nutzen. nd

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