Ein Film über und für alle Minoritäten

Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó über seinen Film »Underdog«

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 4 Min.
Underdog ist ein Film gegen jede Form von Rassismus und für alle Minoritäten, reflektiert anhand der ungarischen Gesellschaft, aber geltend für ganz Europa. Mit Kornél Mundruczó sprach Marc Hairapetian.

Hairapetian: Ihr neuer Film »Underdog« ist wohl auch als Metapher für die gesamte ungarische Politik und nicht nur für die überhöhte Hundesteuer, die die armen Leute förmlich dazu zwingt, ihre Hunde auszusetzen, zu verstehen? Ist der Film ein generelles Symbol für die Benachteiligten dieser Welt?
Mundruczó: Richtig, es ist ein Film gegen jede Form von Rassismus. Ein Film über und für alle Minoritäten, reflektiert anhand meiner ungarischen Gesellschaft. Die Botschaft ist wirklich universell. Ich hatte zwar Wut auf meine Gesellschaft, aber der Film wurde von Mexiko bis Griechenland, von den USA bis nach China mit großer Anteilnahme verstanden und aufgenommen.

Welche Reaktionen gab es seitens der ungarischen Regierung?
Wir haben ganz frei den Film drehen können. Sie kennen ja die Aussage des Films. Das Publikum mochte den Film. Es gab aber einigen Widerspruch in der Presse. Man diskutierte, ob der Film ein gutes Bild von Ungarn abgibt oder nicht.

Der ungarische Originaltitel »Fehér isten« heißt übersetzt wie der internationale Verleihtitel »White God«, also »Weißer Gott«.
Ja, das ist die Perspektive der Hunde, die zuerst zu den »weißen Göttern«, ihren sogenannten »Herren« aufblicken, und dann als ihre Intelligenz gewachsen ist, das Götzenbild mittels Revolution zertrümmern. Der Titel »White God« ist provokativ gemeint. Der Film zeigt, was schieflaufen könnte, wenn wir uns als Menschen unserer Verantwortung gegenüber den Tieren nicht mehr bewusst sind. Tiere sind wie Kinder Schutzbefohlene. In einigen christlichen Ländern wie in Mexiko wurde der Titel »White God« noch mehr verändert als in Deutschland, weil die Verleiher Angst hatten, das Publikum zu verlieren. So heißt der Film in Mexiko beispielsweise »Hagen and Me«.

Auch in der Nibelungen-Saga ist Hagen der große Außenseiter - einerseits treu, aber ebenso grausam.
Deswegen habe ich meinen Helden auch Hagen genannt. »Die Nibelungen« haben mich schon immer fasziniert. Sie sind so komplex in der Figurenzeichnung. Man kann Hagen nicht einfach als Bösewicht abtun. In meinem Fall hat ihn die Gesellschaft zum Außenseiter gemacht. Durch bösartige Hundetrainer sollte er abgerichtet und verdorben werden. Doch er ist schlau und kann seinen Peinigern entfliehen. Und dann bemächtigt sich seiner ein menschliches Gefühl: Rachedurst. Deswegen versammelt er die Straßenhunde Budapests wie eine Armee um sich.

Sie meinen also mit den »weißen Göttern« auch die Neofaschisten in Ungarn? Warum gibt es jetzt so viele in Ihrer Heimat?
Ja. Ich denke, es hat mit der ökonomischen Krise zu tun, die auch eine moralische Krise auslöste. Viele Existenzen stehen derzeit in Ungarn auf dem Spiel. Die Furcht und der daraus resultierende Neofaschismus der Armen basiert mehr auf fehlgeleiteten Gefühlen und nicht auf einer bestimmten Ideologie. Der ungarische Nationalismus und Rassismus steht nicht allein in Europa, allerdings ist er vielleicht mehr sichtbar. Dennoch ist das, was in Ungarn heute passiert, nicht weit entfernt davon, was zum Beispiel bei den Flamen in Frankreich oder in Italien mit Flüchtlingen passiert. Es handelt sich nicht um etwas spezifisch Ungarisches. Es gibt überall vergleichbare Konflikte. Deswegen funktioniert »Underdog« beziehungsweise »White God« auch überall in Europa. Wer sind unsere »Hunde«? Es sind immer und überall die, die man als Minderheit und zugleich als Bedrohung wahrnimmt und sich das Recht zuspricht sie zu maßregeln.

Die Schlusssequenz von »Underdog« ist sehr berührend. Während das Mädchen Lili auf der Trompete die »Ungarische Rhapsody« spielt, legen sich die zum Angriff bereiten Straßenhunde für einen von der Kamera eingefrorenen Moment friedlich nieder. Glauben Sie, dass Filme die Welt zum Besseren verändern können?
Wenn ich daran nicht glauben würde, würde ich keine Filmen machen. Ich glaube, ich kann nicht verstehen, dass ich laut mancher Kritiker so pessimistisch sein soll. Wäre es so, hätte ich diesen Film nicht gemacht. Alle meine Hoffnung, dass sich die Dinge für die Mischlingshunde, die wegen erhöhter Steuern auf der Straße landen und wenn sie noch mehr Pech haben anschließend eingefangen in Tötungsstationen, ist im Enstehungsprozess von »Underdog« bereits eingeflossen.

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