Toronto trainiert für Olympia

Die 17. Auflage der Panamerikaspiele beginnt am Wochenende. Sie weckt wenig Begeisterung in der Stadt

Etwa 1,8 Milliarden Euro gibt Kanada für die Panamerikaspiele in Toronto aus. Fast 7000 Athleten aus 41 Ländern messen sich ab heute, doch die Einheimischen zeigen sich desinteressiert bis ablehnend.

Kanada erlebt 2015 das Jahr der Sportspektakel. Noch nicht einmal eine Woche ist es her, dass in Vancouver der Schlusspfiff der Fußball-WM der Frauen ertönte, da beginnt 4000 Kilometer weiter östlich schon das größte Sportereignis, das Kanada je sah: Die 17 Tage dauernden Panamerikaspiele in Toronto übertreffen mit fast 7000 Startern aus 41 Ländern Nord-, Mittel- und Südamerikas die Winterspiele von Vancouver 2010 locker. Selbst die Olympischen Sommerspiele von Montreal 1976 (6084 Sportler) stellen sie zumindest quantitativ in den Schatten.

Doch was das aktuelle Interesse der Kanadier an den Spielen anbetrifft, zeigt sich klar: Die Ahornnation ist ein Land des Wintersports. Für Eishockey oder Abfahrtslauf lassen sich Nordamerikaner weiterhin viel leichter erwärmen als für Fechten, Rhythmische Sportgymnastik, Ringen oder die neu ins Programm aufgenommenen Sportarten Golf und Frauen-Baseball.

Bis zum Beginn der Panamerikaspiele war noch keine übermäßige Begeisterung in der Stadt am Ontariosee zu erkennen. Zwei Tage vor der Eröffnungsfeier am Freitagabend waren erst 800 000 von 1,4 Millionen Tickets verkauft, und das, obwohl dank des Sponsorings einer Großbank fast drei Viertel der Tickets für weniger als 45 kanadische Dollar (32 Euro) angeboten wurden - für hiesige Verhältnisse geradezu Schnäppchenpreise.

2,5 Milliarden kanadische Dollar kostet die Ausrichtung der Panamerikaspiele, umgerechnet fast 1,8 Milliarden Euro. Toronto übertrifft damit auch die bis dahin teuersten Panamerikaspiele von Rio de Janeiro 2007, die etwa 1,3 Milliarden Euro gekostet und damit als absolut verschwenderisch gegolten hatten.

Vor der Bewerbung und dem Zuschlag im Jahr 2009 gab es in Toronto keine Volksbefragung oder ähnliches, monieren die Kritiker. John Tory, Torontos konservativer Bürgermeister, gab sich in einem Interview mit dem Fernsehsender CBC dennoch genervt: »Die einzige Sportart, die wir bei den Pan-Am-Spielen nicht haben, ist Stöhnen und Meckern«, sagte der 61-Jährige über das Multisportfest, bei dem in 36 Sportarten die Sieger gesucht werden: »Toronto wäre darin sicher ein Favorit für die Goldmedaille.«

Allein die 45 000 Karten für die Eröffnungsfeier im Rogers-Centre-Stadion, das für die Spiele in »Pan Am Ceremonies Venue« umgetauft wurde, sind ausverkauft. Der weltberühmte »Cirque de Soleil« gestaltet die Eröffnungsfeier, die Artistengruppe ist Kanadas kultureller Exporthit.

Ob Torontos Eröffnungsfeier allerdings mit der 85 Millionen Euro teuren »Opening ceremony« bei der Erstauflage der Europaspiele in Baku mithalten kann, war zumindest bis zum Beginn am Freitagabend ungewiss. In Aserbaidshans Hauptstadt hatte Alleinherrscher Ilham Aliyev Anfang Juni reichlich Petrodollars für die Spiele fließen lassen. Die Eröffnungssause in Baku krönte ein Auftritt von Popkönigin Lady Gaga.

Anders als in Baku gehen die Medien in Toronto sehr viel kritischer mit den Kontinentalspielen um. Während die Journalisten der gleichgeschalteten aserbaidshanischen Medien von den Europaspielen nur schwärmten, berichten die kanadischen Zeitungen lieber vom Chaos, das die Olympia-Spur im Verkehrsalltag Torontos ausmacht. Über »Torontos Verkehrs-Albtraum« lästerte »The Canadian Press«. Andere schreiben schon von den »weißen Elefanten« - Luxus-Sportstätten, die nach den Spielen mehr kosten, als sie Nutzen bringen.

Braucht Toronto ein 150 Millionen Euro teures Schwimmzentrum wie das »Panamerican Aquatics Centre«, in dem am Freitag die Synchronschwimmerinnen ihre ersten Wettkämpfe begannen? Was wird aus der 56-Millionen-Euro-Sporthalle für Badminton und Tischtennis, was aus dem 40 Millionen Euro teuren Velodrom? »Wer wird nach den Spielen dafür zahlen, damit in all den Sportschlössern auch nur das Licht anbleibt?« fragte die »National Post« aus Toronto ketzerisch.

Die Hotelbetreiber der Stadt beklagen, dass von den 250 000 prognostizierten Spiele-Touristen noch nichts zu bemerken sei. »Wir sind sehr, sehr verärgert«, sagt Terry Mundell, Präsident des regionalen Hotelverbandes Greater Ontario der »Financial Post« aus Toronto: »Viele Hotels sind schlechter ausgebucht als vergangenes Jahr.« Er hoffe, dass die meisten Gäste noch in letzter Minute buchen würden.

Anders als die Europaspiele, die in Baku ihre viel kritisierte Premiere erlebten, haben die Panamerikaspiele eine lange Tradition. 1951 gab es die erste Auflage in Buenos Aires - als Reaktion auf die Tatsache, dass bis dahin erst zwei von 13 abgehaltenen Olympischen Sommerspielen in Amerika stattgefunden hatten: 1904 in St. Louis und 1932 in Los Angeles.

Bereits zum dritten Mal nach 1967 und 1999 (jeweils in Winnipeg) sind die Panamerikaspiele in Kanada zu Gast. Längst gehören auch Paralympische Wettbewerbe zum Programm der Pan Am Games, in Toronto gibt es außerdem wie bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver 2010 ein »Pride House«, einen Treffpunkt für Schwule und Lesben. Erstmals gehört das »Pride House« direkt zum Organisationskomitee.

Noch bestreitet Toronto, dass Panamerikaspiele 2015 ein Testlauf für Olympische Spiele sind. Doch viele Leute glauben, dass schon bald die großen Spiele angepeilt werden. Toronto hatte sich bereits für 2008 erfolglos beworben. Ein Segen, wie viele Kanadier finden. Sie denken an Montreal 1976, das sich für die Olympischen Sommerspiele bis über beide Ohren verschuldete. Erst 30 Jahre später hatte die Stadt die letzten Olympia-Schulden beglichen.

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