Ossis arbeiten mehr und verdienen weniger

Beschäftigte in den neuen Ländern sind pro Jahr zwei Wochen länger in der Firma als Westdeutsche

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Fleiß lohnt sich offenbar nicht! Zwar arbeiten Ostdeutsche im Schnitt deutlich länger pro Jahr als Westdeutsche, bei den Gehältern macht sich das jedoch kaum bemerkbar.

Der Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft ist ins Stocken geraten. Am Fleiß der Arbeitnehmer kann das nicht liegen, denn die Beschäftigten in den ostdeutschen Bundesländern arbeiten im Schnitt 74 Stunden mehr im Jahr als Angestellte und Selbstständige in Westdeutschland. Dies ergab eine Untersuchung des Arbeitskreises Erwerbstätigenrechnung von Bund und Ländern, wie die »Thüringer Allgemeine« am Montag berichtete. Demnach arbeiteten ostdeutsche Erwerbstätige im vergangenen Jahr im Schnitt 1432 Stunden, westdeutsche dagegen 1358 Stunden - eine Differenz von 74 Stunden bzw. zwei Arbeitswochen!

Der Statistiker Wolfgang Emmel vom Arbeitskreis Erwerbstätigenrechnung bestätigte am Montag gegenüber »nd« die Auswertungen der »Thüringer Allgemeinen«. »Ostdeutsche haben längere Arbeitszeiten und eine geringere Teilzeitquote«. Das gelte für alle fünf neuen Länder, so Emmel. Selbst Mecklenburg-Vorpommern - mit 1429 Arbeitsstunden das ostdeutsche Land mit dem geringsten Arbeitszeitvolumen - liegt noch vor dem westdeutschen Spitzreiter Hamburg mit 1405 Stunden.

Ulrich Brautzsch vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) unterstrich am Montag gegenüber dieser Zeitung, dass der Abstand bei den Arbeitszeiten seit 2008 konstant geblieben sei. »Allerdings lag die Differenz Anfang der 90er Jahre höher.« Damals arbeiteten die Ostdeutschen noch länger.

Doch warum gibt es auch 25 Jahre nach dem Beitritt der DDR noch so große Unterschiede? »Ein Grund ist sicher die geringere Tarifbindung in den neuen Ländern«, erklärte Brautzsch. So würden 54 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten in Betrieben arbeiten, die nicht tarifgebunden seien. Im Westen betrage der Wert nur 40 Prozent. »Zudem sehen die Branchentarifverträge im Osten längere Wochenarbeitszeiten vor.« Etwa in der für Sachsen-Anhalt so wichtigen Chemiebranche. Hier wurden in den neuen Ländern 40 Stunden vereinbart, während im Westen Deutschlands nur 37,5 Stunden gearbeitet werden muss.

Michael Denecke, stellvertretender Pressesprecher der zuständigen Gewerkschaft IG BCE, betonte gegenüber »nd«, dass man bei der Angleichung zwischen Ost und West »schon viel erreicht hat«. Während man im Tarifbezirk Nordost beim Lohn bereits eine Angleichung habe, stehe dies bei der Wochenarbeitszeit noch aus, sagte Denecke dem »nd«.

Ein weiterer Grund für das Ost-West-Gefälle sei »die höhere Erwerbsneigung der Frauen in den neuen Ländern, die zudem meistens Vollzeit arbeiten wollen«, so Brautzsch. Ganz sicher ein Erbe der DDR, wo voll berufstätige Mütter die Regel und nicht die Ausnahme waren. Zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen bevorzugen Frauen hingegen Teilzeit.

Die Mehrarbeit macht sich für viele Beschäftigte im Osten nicht bezahlt. Weder für Männer, noch für Frauen. Sie verdienen deutlich weniger als ihre Kollegen im Westen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte im September 2014 errechnet, dass das durchschnittliche Brutto-Monatsentgelt in Ostdeutschland im Jahr 2012 rund 2139 Euro betrug, in Westdeutschland hingegen 2916 Euro. Der monatliche Durchschnittslohn in Ostdeutschland lag damit 777 Euro unter dem in den alten Ländern.

Während der Thüringer DGB-Chef Sandro Witt in der »Thüringer Allgemeinen« vom Montag kritisierte, dass die Ostdeutschen wegen der niedrigen Löhne zur Existenzsicherung zwei Stunden in der Woche länger arbeiten müssten, verwies IWH-Ökonom Brautzsch auf den Wettbewerbsvorteil durch längere Wochenarbeitszeiten. So hätte der Osten bei den Lohnstückkosten längst Westniveau erreicht. Brautzsch plädierte im »nd«-Gespräch deshalb für »eine mittelfristige Anpassung an westdeutsche Arbeitszeitvolumen«.

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