Bittere Privatisierungspille

Wer in Honduras arm ist, kann sich das Krankwerden immer weniger leisten

  • Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 3 Min.
In Honduras findet eine schleichende Privatisierung des bisher mehrheitlich staatlichen Gesundheitssystems statt. Kritiker befürchten ein Zwei-Klassen-System.

Um elf Uhr nachts spürt María Chapas, wie ihr Blut in die Adern schießt. Fast platzt ihr der Kopf. Um schnell durch San Pedro Sula, Honduras zweitgrößte Stadt, zum Krankenhaus zu kommen, ruft sie ihre Familie an. Für ein Taxi reicht das Geld nicht. Mit steigendem Blutdruck drohen Herzanfall oder Hirnschlag. Dann der nächste Schock. Die Notaufnahme des staatlichen Krankenhauses ist »so voll, als würden mehrere Reihen von Fußballfans ins Stadion drängen, um das Finale ihrer Lieblingsmannschaft zu sehen«, schildert der Sender »Radio Progreso« den normalen Leidensweg im Gesundheitswesen des mittelamerikanischen Staates. María umschifft das Problem: Mit einem Bekannten aus dem Personal schleicht sie sich an Müttern mit plärrenden Babys und alten Männern mit Fieber vorbei, die seit Stunden warten. Der Arzt verschreibt Blutdrucksenker. »Sie brauchen zwei Medikamente, aber in der Krankenhausapotheke gibt es keine. Suchen Sie eine draußen.« Für 300 Lempiras (13 Euro) bekommt María die Pillen.

Nicht jeder hat so viel Glück. Die drei orangefarbenen Hunderter sind viel Geld - sieben von zehn Hondureños leben in Armut. Jeder fünfte muss mit 21 Lempiras oder weniger am Tag auskommen. Ohne Geld, Familie, ohne Kontakte hätte die Nacht für María vielleicht anders geendet. Ihre Geschichte ist symptomatisch für die katastrophalen Zustände im Gesundheitswesen, weiß »Radio Progreso«, das sich in einer Schwerpunktsendung mit der anstehenden Privatisierung beschäftigte.

Laut der konservativen Regierung von Präsident Juan Orlando Hernández gingen allein in diesem Jahr Medikamente im Wert von 25 Millionen Euro wegen Überschreitung des Haltbarkeitsdatums verloren. Im Juli rückten Soldaten in zehn staatliche Krankenhäuser und mehrere Medikamentenlager ein - dies hatte Hernández nach Bekanntwerden eines Medikamentenkorruptionsskandals angeordnet. Krankenhausangestellte und Lieferanten sollen in großem Umfang Arzneien gebunkert haben. Die künstliche Knappheit ließ die Preise steigen. Gestohlene Bestände seien auf dem Schwarzmarkt verkauft worden. Allein im staatlichen Zentrallager sollen zehn Millionen Paracetamol-Tabletten zurückgehalten worden sein.

Die Administration wolle »die Art und Weise der Lagerung, Verteilung und Ausgabe von Medizin an die Bevölkerung verändern«, begründete Hernández das militärische Eingreifen in den Krankenhäusern. Medikamente sollten in Zukunft verstärkt über Privatanbieter an den Mann gebracht werden.

Beobachter vermuten noch andere Gründe. In Honduras, wo 28 staatliche Krankenhäuser und 1600 kleinere Gesundheitsstationen arbeiten, sei man Zeuge einer schleichenden Privatisierung. In einem ersten Schritt wurde beschlossen, zehn öffentliche Krankenhäuser von lokalen Nichtregierungsorganisationen betreiben zu lassen statt unter staatlicher Ägide. Die Regierung spricht von »Modellen der dezentralen Gesundheitsverwaltung«. Das Ansehen des öffentlichen Systems sei erst von korrupten Eliten geschädigt worden, sagen die Kritiker. Jetzt wolle man es weiter in den Schmutz ziehen.

Politanalyst Allan Núñez attestiert einen »Vermarktungsprozess«: von Arztterminen über Behandlung und Medikamente, »die Menschen müssen jetzt für alles bezahlen«. Der Internationale Währungsfonds und die Interamerikanische Entwicklungsbank knüpften Kredite an Privatisierung. »Der Neoliberalismus will, dass der Staat so wenig wie möglich im öffentlichen Dienst eingreift«, sagte der Politologe Martín García sechs Jahre nach dem Putsch gegen den linksgerichteten Ex-Präsidenten Manuel Zelaya. »Mit den neuen Regeln der Regierung kann die Bevölkerung nicht mehr protestieren, weil die direkte Verantwortlichkeit nicht mehr beim Staat liegt, sondern bei Dritten oder Nichtregierungsorganisationen«, weiß Elmer Mayes, Vorsitzende der Ärzteausbildungskammer. Am stärksten seien Menschen wie María betroffen: »Der Arme, der nicht zahlen kann, wird in Situationen kommen, in denen er nicht mehr gesund wird.«

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